Die Lichtermagd
sich dagegen zu wehren. Die Erkenntnis ernüchterte ihn schlagartig.
»Steh auf, du dummer Hund!«, knurrte Ulrich Stromer den Schneider an.
Doch Romer wimmerte nur. Er schüttelte den Kopf, um zu klarem Verstand zu kommen, aber auch, um den Mann davon abzuhalten, weiter auf ihn einzuschlagen. »Nicht!«, keuchte er dann noch einmal. »Kann nicht!«
»Du verdammte Memme. Du Idiot!«, fluchte der Patrizier. »Du kostest mich noch den Kopf!« Statt weiter auf dem Schneider herumzuschlagen, trat der Mann eine gefrorene faulige Rübe gegen die grobe Mauer des Augustinerklosters.
Romer krümmte sich noch immer, doch dieses Mal war der Schmerz mehr innerlich. Er beneidete den Ratsherrn um seine Stärke und um seine furchtlose Brutalität.Wie gerne würde der Schneider aufstehen und zurückschlagen! Er wollte dem Mann die Augen auskratzen, ihm mit einer Klinge die Brust zerfleischen und sein Gemächt an die Türen des Rathauses nageln! Doch so sehr Romer versuchte, aufzustehen und dem Mann seine Wut ins Gesicht zu schreien, gefolgt von einem zünftigen Schlag, er brachte es nicht fertig. Stattdessen krümmte er sich demütig und beschied sich mit den Bildern der Gräueltaten, die er ihm antun wollte.
»Du feige Ratte«, keuchte der große blonde Ratsherr. »Was hast du dir dabei gedacht – die halbe Stadt aufzupeitschen! In wie vielen Bierkellern warst du in den letzten Tagen?«
»Ich -«
»Wie viele frag ich!«, donnerte Ulrich Stromer.
»Ich – fünf.«
»Und wer hat dir das befohlen?« Die Stimme des Ratsherrn war nun gefährlich leise.
»Ihr – Ihr habt doch gesagt, ich soll meine Leute treffen! Ich soll vorfühlen, wer alles mitmacht, und ich -«
»Vorfühlen? Ja, vorfühlen solltest du. Einen verteufelten Volksaufstand anzetteln?«, spie Stromer aus. »Nein!«
Romer sah zögernd auf, ließ sich aber wieder zusammenfallen und wimmerte. Der Patrizier sah aus, als wolle er wieder auf ihn einprügeln.
»Jetzt hörst du mir genau zu«, zischte Stromer. »Ich habe dein Urteil nicht aussetzen lassen und dir ein kleines Vermögen bezahlt, damit du mich ruinierst. Ich zahle das Geld, also entscheide ich auch, wann die Juden brennen. Hast du das verstanden?«
Der Schneider sah auf. »Aber ich habe den Jungs jetzt schon gesagt, dass wir bald -«
Stromer griff ihn wieder am Stoff und zog ihn nah zu sich heran. »Ob du mich verstanden hast!«
»Ja, Herr«, winselte Romer. Doch was sollte er den Leuten nun sagen? Die gierten genauso nach Blut wie er! Sie wollten, dass jemand für all die Ungerechtigkeiten und die Angst zahlte, die sie wegen der Juden hatten erdulden müssen!
»Ruf deine Bluthunde zurück. Sonst verlierst du auch noch das andere Auge.«
»Aber – warum ist’s Euch denn so wichtig, wann die Juden brennen? Hauptsache ist doch, dass sie endlich kriegen, was sie verdienen!«
»Das verstehst du doch nicht, du Ratte!Wenn du zu früh handelst, verliert Nürnberg alles. Die Häuser, den Platz, die Schuldscheine, alles Hab und Gut, das du nicht an dich raffst, alles wird dann dem Burggrafen und dem Bischof gehören. Und der
Rat wird sehr unglücklich sein. Also wartest du genau ab, dass ich dir gestatte zu tun, was du dir am sehnlichsten wünschst. Hast du verstanden?« Stromer schleuderte ihn fort wie einen alten Lumpen.
Der Schneider fiel mit der Schulter hart gegen die Klostermauer und nickte nur schwach. Die Bierseligkeit war wie weggeblasen, und er fühlte sich hohl und ausgebrannt. Durfte man so mit ihm sprechen? Nein, sagte er sich, nur Hosto Stromer durfte das, denn er war ein mächtiger Mann. Dann raffte Romer sich auf. Er ertrug die Leere in seinem Inneren nicht. Er brauchte mehrWein und mehr Bier. Und eine Hure, verdammt nochmal.
KAPITEL 23
Kleine gelbe Flammen leckten ruhig über das Holz des Lagerfeuers. Rauchzungen stiegen von den glühenden Unterseiten auf, doch sie waren willkommen, denn sie brachten die Wärme, die den Frost vertrieb. Das dunkle Schweigen der Nacht, das außerhalb des dreiseitigen Unterstandes herrschte, wurde nur durch das Rascheln des Windes in dem alten Laub der Bäume gestört. Ein neuer Schneeschauer hob an; einer von vielen, die diesenTag so ungemütlich gemacht hatten. Der Weg von Prag zurück nach Nürnberg war für Luzinde noch härter als der Hinweg.
Luzinde hatte in Tachau haltmachen wollen, um Beweise für Ulmans Schuld zu suchen.Wenn er für Gottschalks Tod verantwortlich gewesen war, dann musste das jemand wissen. Doch Wenzel hatte nur sanft den
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