Die Lichtermagd
Nürnberg sind«, seufzte sie und beobachtete den Dampf ihres Atems in der kalten Luft.
»Es ist zu dunkel«, erwiderte Wenzel. »Wir finden den Weg nicht. Oder die Pferde brechen sich die Fesseln.«
Luzinde wrang umständlich die Hände. »Ich weiß! Ich wünschte einfach nur, wir wären schon da!«
Der Ritter schob vorsichtig die Ahle durch das Loch im Leder. »Ich kann uns nicht fliegen machen, Luzinde. Bis Nürnberg ist es noch mehr als ein Tagesritt. Und heute Abend kommen wir nirgendwo mehr hin.«
»Nein, wohl nicht.« Sie seufzte und schlang sich die Arme um die Beine. Trotzdem gelang es ihr nicht, sich zu beruhigen, und an Schlaf war gar nicht zu denken. Irgendwann legte Wenzel seine Arbeit beiseite, stand auf und hockte sich neben sie. »Gibt’s da jemanden, um den du dich besonders sorgst?«
»Ja«, sagte Luzinde. Sie war ganz froh, darüber reden zu können. »Ich … ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn so ins Herz schließen würde. Aber so ist es nun mal.«
»Ins Herz schließen -«
»Ja. Sein Name ist Jakob.«
Wenzels Blick wurde düster. »Ich verstehe. Ich – der Sattel sollte bis Morgen fertig werden.«
»Jakob ist fünf. Oder sechs. Ich weiß es nicht genau.«
Wenzel wurde rot. »Es tut mir leid. Ich wollte nicht andeuten, dass du … Ich wollte deine Tugendhaftigkeit nicht infrage stellen.«
»Ihr habt jedes Recht dazu«, stellte Luzinde fest. »Ich bin keine sehr tugendhafte Frau. Und immerhin habe ich Euch belogen.«
»Dass du keine Jüdin bist?«
»Ja. Das tut mir leid.«
Wenzel nickte. Dann schüttelte er den Kopf. »Mir nicht.«
»Hm?«, machte Luzinde erstaunt.
Er lächelte. »Mir tut es nicht leid, dass du keine Jüdin bist. Im Gegenteil. Und ich halte wegen der Lüge nicht weniger von dir. Der Bube kann froh sein, dass du all das für ihn auf dich genommen hast.«
»Belogen habe ich Euch trotzdem«, sagte Luzinde ernst. »Und das tut mir eben leid.« Sie zögerte. »Ich glaube, ich habe gedacht, dass ich den Leuten nicht genüge, wenn ich nur ich selbst bin. Also habe ich gelogen, habe versucht, mehr zu erscheinen. Der König hat das sofort durchschaut.«
»Er hat ein Auge für Menschen.«
»Und für Lügner, nehme ich an.« Der Augenblick war ihr so unangenehm gewesen – wieso nur hatte sie gedacht, einen König täuschen zu können?
»Du kannst froh sein, dass er dich hat gehen lassen. Aber jetzt musst du dich nicht mehr verstellen. Du kannst einfach du selbst sein.«
Seine Worte waren freundlich gemeint, doch sie munterten Luzinde nicht auf – im Gegenteil. In Nürnberg wartete noch ein weiteres Problem auf sie, das sie trotz der Ereignisse und Entbehrungen nicht vergessen hatte. Eines, bei dem sie auf Ulmans guten Willen angewiesen war. Ihr Kind. Wenzel hatte schon Recht – sie hatte den Gang auch im Hinblick auf Jakob gemacht. Doch damit hatte sie ihren Johann der Gnade Ulmans preisgegeben.
Den Worten der Nonne, die ihr das Kind damals fortgenommen hatte, hatte sie entnommen, dass es nach dem heiligen Johannes benannt war. Also vermutete sie, dass es ein Junge war. Er musste jetzt etwas jünger als Jakob sein. Sie hoffte, es ginge ihm gut, wo immer er sich auch befand. Denn wenn Ulman
wirklich Gottschalk hatte überfallen lassen – würde er dann davor zurückschrecken, ein Kind zu verletzen?
»Luzinde, was ist denn nur?«, fragte Wenzel betroffen. »Bedrückt dich das Ganze so sehr?« Sie nickte sanft. Doch sie brachte kein Wort heraus.
Der Ritter saß einen Augenblick daneben und wusste ganz offenbar nicht, was er tun sollte. Dann legte er ihr den Arm um die Schulter und zog sie zu sich heran. Er sagte gar nichts mehr. Doch das brauchte er auch nicht. Luzinde flossen die Tränen still über die Wangen. Es tat gut, sich nicht erklären zu müssen. Sie konnte nicht immer stark für andere sein. Und während der kalteWind durch die Ritzen des Unterstandes fuhr und der Schnee draußen die Spuren ihrer Pferde verwehte, da wusste sie nicht mehr, wann sie sich das letzte Mal so geborgen gefühlt hatte. Doch sie wagte nicht zu hoffen. Nicht, dass sie das Kind jemals wieder sehen würde. Und auch nicht, dass Wenzel mit seiner Umarmung mehr als Trost spenden wollte. Ihre Träume hatten sie zu oft betrogen.
»Geschtorben?« Mose wurde bleich und ließ sich auf die große Truhe im Dielenraum direkt hinter der Tür fallen.
»Ja«, murmelte Luzinde bedrückt. »Es tut mir leid, Mose. Rebekka«, sie nickte auch der Frau und den Kindern zu, »Gottschalk war
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