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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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junge Patrizier bereute, innegehalten und diese Gedanken zugelassen zu haben, denn die Urkunden in seiner Tasche
wogen nun schwer auf seinem Gewissen. Sie bedeuteten eine Zeit des Unheils für Nürnberg. Sicher, sein Oheim würde sagen, dass ein Baum beschnitten werden müsse, damit er wieder kraftvoll ausschlagen könne. Doch Ulman war kein Kind mehr; und solche Sprüche dienten nur der Beruhigung schlichterer Gemüter. Manchmal wünschte er sich die kindliche Unschuld zurück, um den Worten des Oheims Glauben schenken zu können. Der konnte solche Entscheidungen kühl angehen. Wie es aussah, verfügte er selbst noch nicht über diese Gabe. Ulman fühlte stets die Frage an seinem Gewissen nagen, ob er richtig handelte, oder ob er gerade dabei war, die schlimmste Entscheidung seines Lebens zu treffen. Oder lag diese schon längst hinter ihm?
    Kurz überkam ihn der Impuls, wieder aus der Stadt zu reiten und die Tasche mit Karls Dokumenten in ein schlammiges Erdloch zu stecken. Er könnte Ulrich gegenüber behaupten, dass man ihn überfallen hätte und sämtliches Geld und die Urkunden dabei verlorengegangen wären. Oder dass er und Götz Scheffein in den Verhandlungen mit König Karl versagt hätten. Doch Ulman hatte den Blick, den sein Oheim ihm dann schenken würde, förmlich vor Augen. Noch ein unnützer Verwandter, würde darin zu lesen sein. Und dann würde sein Interesse an dem Neffen und dessen Zukunft so abrupt versiegen, wie es begonnen hatte. Und später, wenn die Wahrheit heraus käme, dass Karl die Dokumente unterschrieben hatte – dann würde die Hölle über Ulman hereinbrechen.
    Der junge Mann musste an Luzinde denken. Ihr plötzliches Auftauchen beim König hatte ihn erschüttert. Ulman hatte geglaubt, dass mit Gottschalks Tod die Gefahr vorbei wäre. Er hatte sich schrecklich geirrt. Luzinde hatte dort einen Teilsieg errungen, wo der alte Jude vermutlich versagt hätte. Ulman hatte ihre Willensstärke deutlich unterschätzt.

    Er hatte an ihren Augen abgelesen, dass sie sich von ihm verraten und verkauft fühlte. Damit hatte er ihr nur in gleicher Münze heimgezahlt, was er empfunden hatte, als er von ihren Lügen erfahren hatte. Leider hatte Luzinde das ganze Ausmaß seines Verrates erahnt und vielleicht bereits Beweise gegen ihn gesammelt … Und nun war sie vermutlich lange vor ihm wieder hier, in Nürnberg.
    Die fahlgraue Schimmelstute schlug nervös mit dem Schweif und trat von einem Bein auf das andere. Dem aufgewühlten Mann gelang es nicht, das Tier zu beruhigen.Warum dachte er über diese Dinge noch nach? Er würde seinen Oheim nicht enttäuschen. Alles Zögern jetzt war nur ein Ausdruck seines Gewissens. Er würde lernen müssen, es zur Ruhe zu bringen. Ulman leitete sein widerspenstiges Pferd am harten Zügel zum Zotenberg.
    Im Haus des Onkels angekommen, führte ihn ein Knecht in die Schreibstube. Die Kammer war vollgestopft mit Pergamenten, auf denen sich krumme Zahlenkolonnen mit hingekritzelten Warengruppen abwechselten. Briefe mit illustren Siegeln stapelten sich in Regalböden, und offene Kisten bargen ledergebundene Rechnungsbücher und Beutel, die ohne Zweifel mit Münzen gefüllt waren. Anhand dieses Raumes erfasste Ulman immer wieder, was für ein Genie der geschäftlichen Organisation sein Oheim war – er plante stets alles im Voraus, was für das Handelshaus wichtig war. Sogar Geld für die kostbaren Geschenke diverser einflussreicher Würdenträger war mindestens für das kommende Jahr im Voraus beiseitegelegt. Ulrich Stromer überließ nichts dem Zufall. Ulman kam der Gedanke, dass man nicht nur über Waren und Würdenträger Buch führen konnte, sondern auch über Reisen, Geburten, Hochzeiten und Todesfälle in der Familie. Auch da mussten Kosten kalkuliert werden.

    »Ulman, mein Junge«, strahlte Hosto nun breit, trat hinter seinem Rechentisch hervor und zog ihn herzlich an die Brust. Dann führte er ihn zu einem Stuhl und schenkte ihm selbst Wein ein. »Du bist endlich zurück. Es ist viel geschehen, seit du fort warst.«
    »Es ist auch viel geschehen, als ich weg war, Oheim«, erwiderte Ulman müde. Oft fragte er sich, woher Hosto seine unerschöpfliche Kraft nahm. Er selbst könnte jetzt drei Tage lang durchschlafen.
    Ulrich Stromer musterte ihn einen Augenblick erwartungsvoll. »Na, hast du etwas für mich?«, fragte er gespannt. Ulman erkannte einen Hauch des Zweifels in seiner Stimme. Hatte der Oheim ihn fortgeschickt, obwohl er sich nicht sicher war, ob ihm die

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