Die Lichtermagd
die behaupteten, ihre Ware bereits ausverkauft zu haben, obwohl die Auslage prall gefüllt war. Doch niemand warf den ersten Stein. Es war beinahe, als stünde eine unsichtbare Wand zwischen den jüdischen und den christlichen Bürgern.
Luzinde streifte wie so oft durch Nürnberg. Sie hatte mit Christen gesprochen, um den Hass zu besänftigen. Doch die sahen sich im Recht und von der allgemeinen Stimmung beflügelt. Und was auch immer den Menschen widerfahren war, den Juden wurde stets ein Großteil der Schuld angelastet. Sie war am Ende ihres Lateins. Nun gab es nichts mehr, was Luzinde tun konnte. Ritter Wenzel drängte sie bereits seit Tagen, die Stadt zu verlassen. Doch sie fühlte sich verantwortlich für das, was geschah.Wie hatte Karl noch gesagt? »Du stehst zwischen den Welten. Aber es braucht bisweilen Menschen, die sich nicht für Schwarz oder Weiß entscheiden. Sie leben im Grau. Auch wenn es sich da nicht gut lebt, gehören manche doch dort hin.« Und damit hatte er Recht behalten. Sie kannte die Christen, und die Juden von Nürnberg hatte sie ein wenig kennengelernt. Sie respektierte beide Seiten, auch wenn sie momentan die Christen für ihre Verbohrtheit verdammen wollte, und die Juden für ihre Zaghaftigkeit. Es musste doch eine Lösung geben! Und die Suche nach einer Lösung trieb sie immer wieder auf die Straßen hinaus. Als sie einesTages zurückkehrte, saß Rosa in Tränen aufgelöst in der Diele.
»Rosa! Guter Gott, was ist denn geschehen?«, fragte sie erschrocken.
»Ich hab Ulrich Schtromer des Haus farkaufen woln, fir des Geld, des er geboten hat«, schluchzte sie, »wen er nur mein Ysaac geen lest.«
»Was hat er gesagt?«
Die Worte waren in dem Schluchzen der Frau kaum zu verstehen. »Er hat gesagt, des Angebot sei abgelaufen! Was sol ich nu machen?«
»Ich weiß es nicht«, flüsterte Luzinde bedrückt. Die Verzweiflung der älteren Frau brach ihr das Herz.
»Kanst nit irgendwas tun?«
»Ich – ich glaube kaum, Rosa. Ich wünschte, es wäre anders. Vielleicht … du solltest fortgehen.«
»Alein? Ohne denYsaac? Was sol ich dan tun?«
»Schütze die Kinder, Rosa. Und dich selbst. Und vielleicht … vielleicht wendet sich ja doch noch alles zum Guten.«
Die Frau schüttelte heftig den Kopf. »Des kan ich nit tun, Luzinde. Ich kanYsaac nit zuricklasen. Des kan ich nit.«
»Dann schick wenigstens die Kinder weg!«, beschwor Luzinde die Freundin. »Die Straßen sind für euch nicht mehr sicher.«
Rosa schluckte die Tränen hinunter und nickte schließlich. »Des kan ich tun. Aber nur die kleinen.«
»Warum das?«
»Der Rat hat farboten, das ein Jidene, der das Birgerrecht gekauft hat, aus der Schtot wegziht. Des dirfen wer nit, ohne eine große Sume zu bezahlen.«
Dies war die Vorschrift, deretwegen die Juden, die hatten weggehen wollen, aufgegriffen und eingesperrt worden waren. Estellina, eine der Mägde Rosas, kam auf sie zu, in der Hand ein Pergament mit Siegel. »Luzinde?«, fragte sie vorsichtig, denn sie wollte ihre Herrin nicht noch weiter stören. »Des is fer dich.«
Luzinde nahm das Papier und sah auf dem Wachs drei zu einem Dreieck angeordnete Lilien eingeprägt. Stirnrunzelnd erbrach sie das Siegel und las die kurze Botschaft. »Ich habe etwas für dich«, stand da in einer sauberen Handschrift. »Triff mich zur Vesper im Klarissenkonvent. U.«
Luzinde schlug das Herz bis zum Hals. Bei dem, was Ulman für sie zu besitzen vorgab, konnte es sich nur um eines handeln – ihr Kind. Warum schrieb er ihr? War das vielleicht eine Falle? Doch sie verwarf den Gedanken schnell wieder. Was hätte der Patrizier davon, sie, Luzinde, in einen Konvent zu locken?
Der Nachmittag dunkelte bereits früh in den Abend, und Luzinde sah nervös zum Fenster mit den kleinen Butzenglasscheiben hinaus. Sie vertraute Ulman längst nicht mehr. Und doch würde sie gehen. Wenn sie diese letzte Chance vertat, ihren Hannes wiederzusehen, würde sie sich ewig hassen.
Also machte sie sich nach Einbruch der Dunkelheit, als vom Klarissenkloster zur Vesper geläutet wurde, mit einer Kerzenlaterne auf den Weg. Der Gang über die Fleischbrücke und vorbei an Sankt Laurentius fiel ihr nicht schwer. Als sie aber das noch geöffnete Stadttor passierte und in die dunkleren Gassen vor der Mauer gelangte, da wurde ihr schon ein wenig mulmig zumute. Die Dunkelheit lauerte zwischen den Häusern wie ein sprungbereites Tier. Unversehens fand sie sich an die dunklen Schatten in Tachau erinnert, in denen man
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