Die Lichtermagd
hallte durch das Kirchenschiff. Dort herrschte für einen Augenblick Stille. Dann löste sich eine Nonne in der Tracht der Klarissen und kam herüber. Sie schenkte Luzinde einen merkwürdigen Blick.
»Ulman, was geht hier vor?«
»Nichts, Schwester Elisabeth«, beschwichtigte Ulman.
»Dann macht doch bitte nicht so einen Lärm, ja?«
»Natürlich, liebe Tante«, erwiderte der junge Mann. Als sie ging, setzte er hinzu: »Als wäre es hier sonst leiser und andächtiger.«
»Bitte, Herr Ulman, Ihr müsst mir glauben – ich kann Euch nicht sagen, wie viele Armbrüste sie haben. Bitte lasst das nicht an meinem Kind aus!«
Ulman starrte auf den Altar der heiligen Luzia, als ringe er um eine Entscheidung. Endlich nickte er düster. »Erfülle mir eine Bedingung.«
»Welche?«
»Du verschwindest noch heute Nacht aus Nürnberg und kehrst niemals wieder zurück. Dann vereinige ich dich mit dem Kind.«
Luzinde zögerte nicht. »In Ordnung.«
»Triff mich in der Nacht zum Komplet jenseits des Laufer Tores. Da ist ein Fuhrhof am Judenfriedhof. Kennst du den?«
Luzinde nickte. »Pack deine Sachen. Ich werde dir ein wenig Geld mitgeben. Und dann zieht ihr beiden fort und betretet Nürnberg nie wieder.«
»Warum tut ihr das alles?«, hauchte sie vorwurfsvoll.
Ulman zuckte mit den Schultern. »Die Juden müssen weg. Nürnberg braucht Geld. Niemand wird uns belangen«, erwiderte er knapp.
»Gott wird Euch belangen«, meinte Luzinde mit einem Knoten im Hals.
»Gott braucht weder Gold noch Macht zum Überleben.«
»Brauchen tut Ihr das auch nicht. Ihr habt Euch dafür entschieden.«
»Sei einfach heute Nacht beim Fuhrhof«, fuhr Ulman sie an. Dann drehte er sich um und wollte schon gehen, doch er hielt noch einmal inne. »Noch was«, meinte er mit rauer Stimme. »Bring deinen Schoßhund nicht mit.« Dann ging er und ließ sie zurück.
Luzinde wandte sich zum Luzienaltar und fiel auf die Knie. »Vergib mir, Heilige«, weinte sie. »vergib mir alle meine Verfehlungen. Wenn ich das irgendwie wiedergutmachen kann, dann will ich es tun!« Sie drückte sich die Fäuste auf die Augen, um den inneren Schmerz zu betäuben, und lauschte auf eine Antwort. Im Kirchenraum sangen die Klarissen gerade das De profundis. Ihre hohen Stimmen hallten im der heiligen Klara geweihten Kirchenraum von allen Wänden wider. Sie hatte diesen Psalm stets mitgesprochen, wenn er für Tote gesagt wurde, doch erst jetzt schien sie wirklich zu verstehen, was er ihr sagen wollte: Würdest du, Herr, unsere Sünden beachten, Herr, wer könnte bestehen?
»Aus der Tiefe ruf ich, Herr, zu dir... Achte auf mein lautes Flehen«, murmelte sie. Doch Luzinde erhielt keine Antwort auf ihr Gebet.
Zurück in Rosas Haus begann Luzinde hastig zu packen. Aus der Küche nahm sie sich leise einen Laib Brot, etwas Käse sowie einen Bierschlauch. Die Magd war glücklicherweise längst im Bett, da sie früh aufstehen musste. Als Luzinde die Treppe hinaufging, hielt sie inne und öffnete das Fenster zum Hof. Draußen schwebte eine Laterne beim Rosenbusch. Sie sah näher hin und erkannte Jakob, der im Dunkeln Hagebutten erntete. Bestimmt hatte er damit eine kleine Garstigkeit vor. Sie lächelte wehmütig und machte kehrt. Sie hatte seit ihrer Rückkehr auf eine Gelegenheit gewartet, dem kleinen Lausbuben allein im Hof zu begegnen. Von ihm wollte sie sich wenigstens verabschieden.
»Sei gegrüßt, Jakob, Sohn des Mose«, sprach sie ihn ganz förmlich an, nachdem sie in den dunklen Hof getreten war.
Das brachte ihn dazu, seine kleine Stirn zu runzeln. »Luzinde – is was? De schprichst doch sonst nit so komisch.«
»Nein«, gab sie zu. »Ich weiß nicht, wie man sich benimmt, wenn Schiwa gesessen wird. Ich möchte nicht respektlos erscheinen.«
»Ich weiß des auch nit«, bekannte der Kleine. Die gedankenlose Trauer eines Kindes huschte kurz über seine Züge. »Ich mag nur, das der Zeydel wider komt.« Er sah auf die durch den Frost verschrumpelten Früchte in seiner Hand und pulte verlegen an der Schale.
»Das fände ich auch schön«, presste Luzinde hervor. Was sollte sie dem Jungen nur sagen? »Aber Gottschalk kommt nicht wieder. Er …«, sie stockte. Sie wusste nicht, wie die jüdische Sicht der Nachwelt war. »Er ist jetzt an einem besseren Ort, wo ihm nichts mehr zustoßen kann.«
Er sah fragend zu ihr auf. »Kan ich ihn da besuchen?«
»Nein«, Luzinde musste widerWillen lächeln und strich ihm über das Haar. »Aber du wirst ihn wiedersehen,
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