Die Lichtermagd
lezten Woch gab’s so file Anfragen wie nie von Jidenen, die sich freikaufen wollten.« Seine Stimme war dunkel, als er fortfuhr. »Se haben keinem die Genemigungen erteilt. Keine einzik.«
»’s wird schlimm«, klagte Rebekka noch einmal.
»HerrWenzel, meint’er, wer komen hier noch lebend raus?«, fragte Mose verzweifelt.
»Nicht durch die Tore«, erwiderte der Ritter. »Nicht heimlich. Der Rat wird dort sicher Wachen verstärkt haben, um Juden, die mit Sack und Pack aus der Stadt fliehen wollen, aufzuhalten. So würde ich’s zumindest tun.«
»Und dan haben se’nen Grund, uns anzeklagen«, nickte Mose. »Und wen wer heimlich iber de Mauern geen? Wer kenen eine Wache bestechen.«
»Möglich«, warf Luzinde ein. »Aber alle Juden durch ein Tor herausbringen? Wie viele seit ihr denn?«
»Eintausendfünfhundertundeinundzwanzig.«
»So viele?«, fragte Wenzel ungläubig.
»So genau wisst ihr das?«, kam gleichzeitig von Luzinde.
Mose zuckte mit den Schultern. »Wer zalen de Schteuern fer ale zesamen, nit einzeln. Da missen wer das wissen.«
Luzinde sah Wenzel an. »Bekommt man eineinhalb Tausend Menschen heimlich durch ein Tor hinaus?«
»Man bekommt eineinhalb Tausend Menschen nirgendwo heimlich hinaus«, brütete der. »Aber nach dem, was Mose erzählt, werden auch gar nicht alle weg wollen.«
»Nein, aber ein gros Teil«, sagte Rebekka bedrückt. »Bestimt de Helfte.«
»Das ist gut«, meinte Luzinde. Der Entschluss der Juden, auch zu fliehen, erleichterte ihr Gewissen. »Je mehr die Stadt verlassen, desto weniger werden zu leiden haben.«
»Und umso schwieriger wird es, sie hinauszubringen«, warnte Wenzel. »Du weißt nicht, wie langsam eine Menschenmasse sein kann, Luzinde. Sie haben Angst, sie sind verwirrt, keiner weiß genau, was zu tun ist – von Alten und Kindern ganz zu schweigen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß keinen Ausweg.«
Betrübt schaute Luzinde zu Boden. »Ich auch nicht.« Sie wünschte sich hinauf, in die Einsamkeit ihrer Kammer.
»Meglicherweis hat Nathan Recht«, murmelte Mose. »Meglicherweis missen wer kempfen.«
Seine Worte machten Luzinde Angst. Nürnberg war voll des Hasses auf beiden Seiten. Jeder hatte sich irgendeine Waffe besorgt. Und sie alle wurden durch den Ring der Stadtmauer so
zusammengedrängt, dass es unweigerlich zum Schlimmsten kommen musste. Luzinde wollte Mose davon abraten. Schließlich war er eher Gelehrter als Kämpfer. Aber welches Recht besaß sie noch, auf ihn einzuwirken? Sie selbst würde dann bereits fort sein. Nein, Mose und die Seinen mussten wissen, was am besten für sie war. »Vielleicht will Hosto Stromer genau das«, warnte die junge Frau trotzdem. »Dass ihr den Anfang macht. Und Nathan gibt ihm seinen Willen.«
Das Klopfen an der Hintertür ließ sie alle zusammenzucken. Rahel steckte ihren glühenden Kopf zur Hintertüre herein. »Es kam ein Briw.«
»Nit jezt, Rahel«, stöhnte Mose.
»Aber er is vom Schtromer«, fuhr Rahel fort.
»Vom Stromer?«, fragte Wenzel misstrauisch und erhob sich, um den Brief in Empfang zu nehmen. »Von welchem?« Luzindes Herz klopfte schneller. Hatte das etwas mit Hannes zu tun?
Der Ritter reichte den Brief an Mose weiter. »Für Euch.«
Mose nickte dankbar, erbrach das Siegel mit dem Dreieck aus Lilien und las. »Hosto wil farhandeln.«
Luzinde sah in Gesichter, die ihre eigene Ratlosigkeit widerspiegelten. »Er will verhandeln? Warum jetzt?« Und wie passte das mit Ulmans Angebot zusammen, sie aus der Stadt zu schicken?
»Und warum überhaupt?«, brummte Wenzel. »Der führt doch etwas im Schilde.«
»Meglicherweis tut er das«, sagte Mose. Doch in seinen Augen glühte der Hoffnungsfunke. »Aber wir missen trotzdem geen. Meglicherweis meint er’s erlich.«
Wenzel schnaubte verächtlich. »Der alte Stromer ist so ehrlich wie eine Kreuzotter. Er beißt zu, wenn du gerade nicht hinschaust.«
Luzinde nickte.
»Und was sagst du, Luzinde?«, fragte Mose. Die ehemalige Magd wünschte sich weit fort. Doch sie war ihm eine Antwort schuldig. »Ich denke, ihr solltet trotzdem gehen. Vielleicht könnt ihr den Stromers klarmachen, dass es sich nicht lohnt, die Juden von Nürnberg zu ermorden.«
»Wir? Komst nit mit?«
»Nein«, murmelte sie. Die anderen starrten sie erstaunt an.
»Aber Luzinde«, bat Mose eindringlich, »de hast mit Kenik Karl geschprochen. De musst dabei sein!«
»Aber ich -«
»Luzinde, ich bitt dich – de musst uns helfen. Fer Gottschalk.«
Luzinde wurde heiß und
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