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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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kalt. Schon morgen wäre sie gar nicht mehr in der Stadt. »Also gut«, hauchte sie trotzdem. Sie wollte sich nicht auf eine Diskussion einlassen.
    »Wunderbar«, sprach Mose erleichtert. »Ich wird dem Hosto gleich einen Briw zuricksenden.«
    Luzinde drehte sich schnell um und ging die knarrende Treppe hoch. Sie begann bereits sich auszumalen, wie Mose, Rosa und Wenzel die Enttäuschung in die Gesichter geschrieben stünde, wenn sie morgen herausfänden, dass sie fortgegangen war. Sie biss sich auf die Unterlippe. Noch hatte sie die Wahl. Doch sie hatte ihr Kind schon einmal für Gottschalks Familie aufgegeben. Ein zweites Mal brachte sie das nicht fertig. Sie würde Nürnberg verlassen. Das Schicksal ihrer Freunde lag nun in Gottes Hand.
    Von Rosas Stube, die liebevoll mit getrockneten Blumen und allerlei Kostbarkeiten geschmückt war, ging die Schlafkammer ab, die die Jüdin im Augenblick, daYsaac im Loch saß, mit der Christin teilte. Sie packte die Nahrungsmittel erst einmal auf die Bettstatt und schaffte Platz in ihrem Rucksack.
    »Du liebst diese Leute wirklich, was?«

    Luzinde fuhr herum und stellte sich vor die Vorräte, die offen auf dem Bett lagen. Ritter Wenzel war ihr gefolgt und stand nun in der Tür. Er hatte Rüstung, Helm und Wappenrock abgelegt und trug nur eine schlichte Tunika aus dunkelgrünem Wollstoff über dem Untergewand. Er wirkte erstaunlich schlank und aufrecht ohne das Kettenhemd, das seiner kräftigen Kämpferstatur sonst die Form eines Mehlsackes verlieh. Sein braunes Haar war gewaschen und zurückgekämmt, der Bart sorgfältig gestutzt. Die Verwandlung war so verblüffend, dass die ehemalige Magd einen Augenblick lang irritiert war. Seine Augen wirkten verletzlich.
    »Sie liegen mir am Herzen«, erwiderte sie widerwillig.
    »Das sieht man. Der Junge hat dich sehr gern. Er benimmt sich ein wenig wie mein Bruder früher. Ein Lausejunge vor dem Herrn, der …« Doch er brach ab. »Hast du keine Sorge um sie? Wenn du doch weißt, dass ihre Seelen zur Verdammnis verurteilt sind?«
    Luzinde fühlte Widerspruch in sich wachsen. »Sorgt Ihr Euch um meine Gefühle oder um ihre Seelen?« Wenzel wich ihrem Blick aus. »Ich wollte es auch erst nicht wahrhaben«, fuhr sie fort. »Seht Euch diese Leute doch einmal an. Steht in ihren Augen denn nicht dieselbe Freude über die schönen Seiten des Lebens geschrieben? Und steht dort nicht dieselbe Furcht vor dem Üblen, vor Gewalt und Tod? Sie unterscheiden sich doch gar nicht von uns,Wenzel! Hätte der Herrgott denn seinen Sohn zu einem der ihren gemacht, wenn er das Volk so verachten würde?«
    Der Mann schwieg nachdenklich, das Gesicht im Zwielicht. »Ich weiß es nicht«, murmelte er schließlich. »Aber die Priester sagen …«
    »Die Priester sind auch nur Menschen, Wenzel«, lächelte Luzinde. Hatte die Alte in Rokytzan nicht etwas Ähnliches gesagt?
Jetzt verstand sie deren Worte. »Man muss seinem Herzen vertrauen.«
    Er schüttelte den Kopf, als müsse er seine Gedanken klären. »Ich weiß nicht. Wenn ich meinem Herzen vertraute, würde ich jetzt etwas tun, mit dem ich Eure Tugend beleidigte, und ich weiß wirklich nicht …« Er sah verwundbar zu ihr herüber und setzte neu an. »Ich weiß nicht, ob das nicht vielleicht ein Fehler wäre.«
    Luzinde fiel das Atmen plötzlich schwer. »Bisweilen ist es das Wagnis wert«, gab sie leise zurück. »Denn ob’s ein Fehler ist oder nicht, das weiß man erst hinterher.«
    Das Schweigen lastete einen Augenblick drückend auf dem dunklen Raum. Dann löste Wenzel sich aus dem Schatten an der Tür und trat Schritt für Schritt näher, bis er schließlich vor ihr stand. Luzinde fühlte förmlich, wie der Raum zwischen ihnen schwand. Es war, als könnte sie ihn auf der Haut fühlen, obwohl er doch sicher eine Elle vor ihr stand. Dann streckte er die Hand aus und berührte ihre Schulter, als sei sie ein verletzbarer Vogel. Er zog sie vorsichtig, fast ungelenk, zu sich heran und legte ihr erst die eine, dann die andere schwielige Hand an die Wange. Sie spürte seinen Atem auf dem Gesicht, und die Barthaare kitzelten ihre Haut. Schließlich berührten seine Lippen die ihren. Die Liebkosung geschah so weich, so vorsichtig, wie die junge Frau sie dem Ritter kaum zugetraut hätte. Es war, als fürchte er, sie zu verletzen.
    Luzinde drohte sich in diesem Kuss zu verlieren. Sie erinnerte sich an den ersten Blick, den sie getauscht hatten, als er den Baldachin des Königs getragen hatte. An die Begegnung in

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