Die Lichtermagd
Hirschau, wo er sie den Nürnberger Patriziern vorgezogen hatte. An die Konfrontation am Luzienschrein, als er so wütend schien, dass er ihr nicht vertrauen konnte. Und an die Nacht, in der sie für Bruder Ambrosius’ Seele gebetet hatten.Vom ersten
Augenblick an waren sie einander verbunden gewesen, das spürte Luzinde nun.
Als sich ihre Lippen voneinander lösten, schloss Wenzel sie in die Arme. »Luzinde«, sprach er mit rauer Stimme. »Was soll nur aus uns werden?«
»Was immer aus uns wird,Wenzel«, gab sie zurück. Sie hielt ihn ebenfalls fest. Sein warmer Körper spendete ihr Halt. Er hatte natürlich Recht – er war von Stand, sie nur eine entwurzelte Schreiberstochter. Doch sie mochte sich keine Sorgen um die Zukunft machen.
Die Zukunft! Siedend heiß fiel Luzinde ein, dass sie heute Nacht ja fortgehen wollte, um ihren Sohn zu finden und mit ihm die Stadt zu verlassen. Und sie durfte Wenzel nicht mitbringen, wenn sie das Kind abholen ging.
»Luzinde, ist etwas?«, fragte Wenzel, der offenbar merkte, dass etwas nicht stimmte. Plötzlich schob er sie unsanft beiseite. Luzinde schloss die Augen – er musste ihren Rucksack gesehen haben. Unverständnis zeigte sich in seinen Zügen. »Du wolltest verschwinden?«
»Ich – ja.« Sie trat zurück. Sie setzte zum Sprechen an, doch sie brachte es nicht heraus. Musste sie sich zwischenWenzel und ihrem kleinen Hannes entscheiden? Sie verfluchte das Schicksal, dass sie jetzt erst zusammengeführt hatte. Doch sie konnte nicht mehr zurück – nicht dieses Mal. Sie wollte ihren Hannes nicht noch einmal verlieren. Also drehte sie sich um, steckte Brot und Käse sowie die Hagebutten zum Gepäck und schnürte es zu.
»Ohne mit jemandem darüber zu sprechen?« Seine Verwirrung machte Verletztheit Platz. »Ohne mit mir zu sprechen?«
»Das ist allein meine Sache.«
»Eure – deine Sache?«, fragte der Ritter verblüfft. »Aber ich dachte … Eben gerade dachte ich …« Schließlich klappte er den Mund wieder zu. »Ich bin ein Esel.«
»Wenzel, das hat nichts mit dir zu tun!«
»Ach nein? Womit dann?«
Sie schwieg und wich seinem Blick aus. Er wartete nur kurz auf eine Antwort. »Ich sollte glücklich darüber sein, dass du die Stadt verlässt«, stellte er dann fest. »Aber warum habe ich den Eindruck, dass du wegläufst?«
»Wovor – vor dir?«
»Vor deiner Verantwortung hier in Nürnberg!«
»Was soll ich hier noch tun«, verteidigte sie sich. »Die Menschen wollen nicht hören. Der Rat will nicht verhandeln. Also was soll ich hier noch?« Doch ihr glühender Kopf strafte ihre Worte Lügen.
»Und stattdessen gibst du lieber auf, nachdem du so hart gekämpft hast?«
»Ich kann nichts aufgeben, was schon längst verloren ist, Wenzel«, meinte Luzinde bedrückt. »Sieh dich doch um!«
»Und darum lässt du jene im Stich, die deiner Hilfe bedürfen?«, erwiderte Wenzel ungläubig.
» Du hast mich doch angefleht, die Stadt zu verlassen!«
Er schnaubte. »Da gab es auch nicht die kleinste Aussicht, eine friedliche Einigung zu erzielen. Aber lauf nur weg.«
»Was soll denn das nun bedeuten?«, fragte Luzinde ärgerlich. »Du weißt ja gar nicht -«
»… dass du den leichten Weg wählst?«, knurrte Wenzel. »Das weiß ich sehr wohl. Aber geh nur. Vermutlich hast du Recht. Du kannst hier nichts mehr bewirken.« Damit drehte er sich um und ging.
Luzinde starrte wütend auf ihren Rucksack. Sie wusste, dass der Ritter sie mit seinen Worten hatte verletzen wollen. Er fühlte sich zurückgewiesen. Doch das linderte den Schmerz nicht. Was ging es ihn überhaupt an? Er verstand sie nicht.
Bei diesem Gedanken blutete Luzinde das Herz. Sie hätte niemals gedacht, dass sie die Verachtung eines Menschen derartig verletzen würde. Doch Wenzels Worte gingen ihr näher, als die Strafe, mit der die Lügnerin Luzinde aus Pillenreuth verjagt worden war, als dieTritte, die der Bettlerin Luzinde gegolten hatten, und die Schimpfworte, mit denen man die Jüdin Luzinde belegt hatte. Sie gab sich ihren Tränen hin.Warum nur taten seine Worte so weh?
Schließlich legte sie sich angekleidet unter die Decke. Sie tat so, als schliefe sie. Irgendwann kam Rosa herein und legte sich leise dazu. Bald würde zum Komplet gerufen werden.
Irgendwann kehrten ihre Gedanken zu der bevorstehenden Reise zurück. Sie würde Nürnberg heute Abend verlassen. Und sie würde endlich zum ersten Mal ihren Sohn in den Armen halten dürfen.
Der dunkle Klang der Glocken von den Klostertürmen
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