Die Lichtermagd
Nürnbergs hallte durch die wie ausgestorben wirkenden Straßen. Er trug weit durch die kalte Luft, um Mönche und Nonnen zum Gebet zu rufen. Der nächtliche Frost ließ die Rauchsäulen über den auskühlenden Schornsteinen der Häuser fast senkrecht in den Himmel steigen. Zusammen verliehen Glockenklang und Rauch der Stadt einen täuschend friedlichen Eindruck.
Luzinde schreckte aus dem Dämmerschlaf auf. Sie war eingeschlafen! Nun war es spät – fast zu spät! Schnell sprang sie auf und griff nach ihrem Rucksack. Sie hoffte, dass Rosa sie nicht hörte, während sie hinausschlich, und atmete erst auf, als sie die Tür des Hauses auf dem Zotenberg hinter sich schloss. Mit einem letzten Blick auf die schmale Front von Gottschalks Haus, das nun an Mose übergegangen war, schlang Luzinde den Umhang um sich und kehrte dem Ort, der ihr für einige
Monate Heimat gewesen war, den Rücken. Sie wandte sich zuerst in Richtung Dominikanerkloster und bog dann in die Gasse zum Laufer Tor ab.
Auf Höhe des Aegidienklosters wurde Luzinde ängstlich zumute. Sie wünschte sich, sie könnte achtsamer sein. Doch sie hatte es eilig! Zu ihrem Glück waren die Straßen gähnend leer. Ihre Trippen sanken knirschend tief in den Schlamm ein. Hinter den Klostermauern zu ihrer Linken ertönte Gesang. Die Musik mehrte ihre Einsamkeit. Sie schaute als Außenstehende auf die alltäglichen Abläufe der Stadt und fühlte sich schon wieder fremd. Ihre Gedanken glitten zu Wenzel zurück, den sie schon jetzt schmerzlich vermisste.
Doch sie schüttelte den Anflug von Traurigkeit ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf dasTor. Dort angekommen klopfte sie den Büttel aus dem Turm, drückte ihm einen Pfennig in die Hand und ließ sich von ihm die Nachtpforte öffnen. Dann stand sie schließlich vor der Mauer und sah sich mit klopfendem Herzen um. Auch außerhalb standen die Häuser bereits dicht an dicht bis an den jüdischen Friedhof. Sie selbst kannte dieses Viertel kaum, denn während ihrer Zeit in Gottschalks Diensten hatte sie hier nur selten einen Fuß hingesetzt. In der Dunkelheit irrte sie sich in der Straße. Sie unterdrückte einen Fluch und hastete zurück, denn der Fuhrhof lag, wenn sie sich recht erinnerte, ein wenig nach hinten versetzt. Sie hatte erst ein paar Schritte getan, da hielt sie beklommen inne. Ein gro ßer Schatten war über die Straße gehuscht und in einer Gasse verschwunden. Sie drückte sich an die Wand eines schmuddeligen Holzhauses und lauschte in die Nacht hinein. Lauerte ihr jemand auf? Ulman, oder ein Dieb? Mehrere Herzschläge lang verharrte sie. Doch nichts regte sich. Und schließlich siegte die Angst davor, die Verabredung zu verpassen, über ihre Vorsicht.
Luzinde trat durch die dunkle Einfahrt des Fuhrhofes, der mehrere Häuser miteinander verband. Der sandige Boden war tief ausgefurcht und an den Rändern mit Gras bewachsen. Es roch nach Urin und Pferdeäpfeln. Schritt für Schritt trat sie in die Dunkelheit. Hätte sie nur eine Laterne mitgebracht! Doch sie hatte Rosa nicht bestehlen wollen, und ohne Licht fiel man in den nächtlichen Gassen selbst weniger auf. Nun konnte sie in der Finsternis kaum etwas sehen. Hier gab es einen Unterstand und mehrere klobige Karren. Die vielen dunklen Ecken beunruhigten Luzinde immer mehr, und so stellte sie sich in die Nähe eines windschief in den Angeln hängenden Fensterladens, durch den aus dem Innern eines Gebäudes noch Licht drang. Sie wollte wenigstens ein bisschen was sehen können! Nur kurze Zeit später vernahm sie das Knirschen des Sandes unter schweren Füßen, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Eine Gestalt bog in den Innenhof ein und verharrte.
»Ulman?«, fragte Luzinde leise. Die Gestalt wandte sich um und kam herüber. Als das spärliche Licht auf sie fiel, erkannte Luzinde, dass es nicht Ulman war. Der Mann sah einfach, ja ungeschlacht aus. Und er stank nach Schnaps.
»Biste Luzind?«, fragte er nuschelnd.
»Ja. Wer bist du? Und wo ist mein Sohn?«
»Der kommt noch. Ich soll dir schon mal das Geld geben, das de kriegst.«
»Wann kommt das Kind?«
»Weiß nich, Mädel.« Er griff unter den Mantel und zog eine Lederbörse hervor.
»Das is für dich.«
Doch jetzt, da es ihr angeboten wurde, wollte sie das Geld nicht nehmen. Es war Stromersches Geld. Es war also Blutgeld. Sie schüttelte den Kopf.
»Aber ich soll dir die ganze Börse geben.« Er warf ihr das Lederbeutelchen zu. Sie fing es instinktiv auf. Das weiche Leder fühlte sich warm
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