Die Lichtermagd
Faust hart ins Gesicht, ohne seinen Rhythmus zu unterbrechen.
»Na, Romer, willst du auch?«, grinste der Meister, während er seine Beinkleider verschnürte.
»Ich nehm nichts, was ihr beide schon abgenutzt habt«, erwiderte der Schneider angewidert. Tatsächlich zitterten seine Beine noch.
»Hier ist genug Auswahl, Mann!« Der Meister wies in die Runde.
Doch Romer schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht gekommen, um die Ungläubigen zu begatten. Das ist eine Sünde, das weißt du. Lass sie uns einfach abstechen und weitermachen. Der Tag ist noch lang.« Das sahen auch die anderen Männer so, und als der Geselle fertig war, machten sie ein Ende mit ihren Opfern.
Auf dem Weg zum nächsten Haus breitete sich in Romers Bauch trotz seiner hochtrabendenWorte eine Übelkeit aus, die er nicht verstand. Diese Leute waren Ungläubige. Eine Plage, wie sie in der Schrift beschrieben stand! Sie fielen wie die Heuschrecken in gute christliche Städte ein und fraßen sie leer, bis es nichts mehr zu holen gab. Dann zogen sie weiter und nahmen sich die nächste Stadt vor. Romer kotzte in die Küche, in der gerade zwei Schmiede das jüdische Gesinde totgeprügelt und auf dem sauberen Steinboden in einer schmierigen Blutpfütze liegen gelassen hatten.
»Hast nicht den Magen dafür, was, Romer?«, fragte der eine Schmied mitfühlend und klopfte ihm auf die Schulter.
Der mitleidige Ton des Mannes brachte das Fass zum Überlaufen. Der einäugige Schneider stieß ihn mit dem Ellenbogen beiseite und griff sich einen hölzernen Küchenhammer. Damit malträtierte er den Kopf einer toten Magd so lange, bis er knackte und splitterte und nur noch eine blutige Masse übrig war. Als Romer aufsah, waren sämtliche Wände mit blutigen Fetzen übersät.
»Lasst uns weitergehen. Die Häuser der reichen Juden sind gleich da oben«, knurrte Romer dann. Die Männer gehorchten ohne Worte.
»Verdammt – was sind denn das für Kerle?«, fragte jemand und deutete auf ein Haus. Darum herum standen eine Handvoll gerüsteter Männer mit Waffen in der Hand. Sie sahen nach Söldnern aus – die Art von Leuten, vor denen Romer zeit seines Lebens einen Heidenrespekt gehabt hatte. Was hatten die hier zu suchen? Wollten sie plündern? Ärger packte ihn. »Verdammt!«, zischte auch er. »Die wollen sich holen, was uns zusteht!«
»Scheißkerle«, murmelte ein Dritter. »Sollen wir sie erschlagen?«
»Bist du irre?«, fragte Romer. »Die schneiden uns alle nieder. Kämpfen ist ihr Handwerk – unseres ist es nicht. Nein, lass sie hier plündern. Dann sind sie eine Weile beschäftigt. Wir sind im Vorteil! Wir wissen, wo die reichen Juden wohnen!« Der Schneider stolperte voran, den Zotenberg hoch. Es wäre doch gelacht, wenn bei den Wucherern nicht noch etwas zu holen wäre!
Drei Tage noch bis Sankt Nikolaus! Die Zeit kam Luzinde ewig vor, denn die Juden müssten damit noch lange in Nürnberg aushalten. Gleichzeitig war der Zeitraum schrecklich kurz, wenn Hunderte sicher aus der Stadt fliehen wollten. Aus diesem Grund war sie auf ihren Einfall hin gleich nach den Verhandlungen zwischen Hosto und Mose in den Keller gegangen und hatte die Felsengänge ein paar Ecken weit erkundet.
Jetzt stürmte sie in das Haus des Mose und verkündete noch ganz außer Atem: »Wir bringen euch durch die Felsengänge heraus!«
»Wir tun was?« Mose hielt erstaunt dabei inne, seine Pergamente einzupacken.
»Wir bringen euch durch die Felsengänge heraus!«, wiederholte Luzinde. Sie war direkt nach dem Gespräch mit Hosto
und Ulman Stromer in den Keller gegangen und hatte die Felsengänge ein paar Ecken weit erkundet. Dann war sie sofort hochgelaufen. »Ich bin ein paar Ecken weit gegangen, bis ich mich nicht weiter getraut habe. Aber heißt es nicht, dass der Nordteil von Nürnberg über die Wasserleitungen und Felsengänge verbunden sei? Es muss doch jemanden geben, der sich da unten auskennt!«
»Ist so etwas möglich?«, fragte Wenzel. »Gibt es genug Gänge, dass man sie zur Flucht benutzen kann?«
Ihre Aufregung schien Rosa anzustecken. »Meglich wär des. Viele unserer Heiser sind miteinander verbunden. Und mit anderen Kellern. Und wo die Lochkanalisation hinfihrt, das weiß nur … ja, der Asriel weiß des bestimmt. Der kennt die Genge.«
»Dann lasst uns mit ihm sprechen«, erwiderte Luzinde. Endlich konnte sie wieder Mut fassen.
»Und ir wollt wirklich Tausend finfhundert Leit durch die Felsengenge aus der Schtot bringen?«, fragte Mose. »In dreiTagen?«
Weitere Kostenlose Bücher