Die Lichtermagd
sich die Stromers auf ihren Pferden hinter die Reihen der Söldner zurück. Ulman war zwar im Umgang mit dem Schwert geübt und hatte es auch bereits eingesetzt. Doch der Plan, Frauen und Kinder zu ermorden, bereitete ihm keine Freude. Das überließ er lieber den Schlächtern seines Oheims. Der junge Patrizier wappnete sich innerlich gegen das Blutvergießen. Die Söldner wären nur schwer zu zügeln, wenn sie mit dem Morden einmal angefangen hatten. Die Stadttore waren auf Weisung seines Oheims allesamt versperrt. Dort käme niemand hinaus, bis nicht die Juden tot wären.
»Ulman?«, fragte Hosto.
»Oheim?«
»Spürst du es?«
»Was denn, Oheim?«
Hosto sog geräuschvoll die Morgenluft ein. »Dies ist ein historischer Augenblick. Ein Tag noch. Morgen wird Nürnberg am Rande eines Neubeginns stehen.«
»Sicher doch, Oheim.«
»Ich möchte, dass du den Söldlingen den Befehl zum Angriff gibst. Du hast es dir verdient.«
Ulman erstarrte. Er sollte das Morden befehlen? Sein Gaumen wurde trocken. »Das … das ist dein Sieg, Oheim«, sagte er und hoffte, dass die anderen den gepressten Ton in seiner Stimme nicht wahrnahmen.
»Ulman, ich bin alt. Ich habe das Haus geplant und die Arbeiter bestellt. Jetzt ist es an dir, den Grundstein zu legen. Denn wir werden zwar das Fundament noch gemeinsam legen und möglicherweise den Bau beaufsichtigen, doch wohnen wirst du in dem Haus. Deshalb gebührt die Ehre dir.«
Ulman begann zu schwitzen. Zwischen den Sätzen hörte er aus Hostos kleiner Ansprache noch etwas anderes heraus. Er sollte sich ein letztes Mal beweisen. Er sollte dem Oheim zeigen, dass er nicht nur dessen Vision erfüllen konnte, sondern Rückgrat genug besaß, sie zu seiner eigenen zu machen. Er zögerte. Er sollte es einfach als Jagd wie jede andere nehmen. Vielleicht machte es das leichter. Ulman sog ebenfalls die kühle Luft ein. Dann nickte er.
»Ludewich«, brachte er heiser hervor und hoffte, seine Stimme würde nicht zittern, »schick deine Männer los.«
Der Söldnerführer nickte. Er nahm ein kleines Horn vor und entlockte ihm einen Ton, der Ulman durch Mark und Bein fuhr. Das Geräusch erinnerte eher an einen grellen Schrei. Der Laut hing für einen Augenblick lang in der kristallklaren Morgenluft. Dann brach der Lärm los. Die Söldner sprangen aus ihren Verstecken auf die Wagen, die Streitkolben und Schwerter gezückt. Der junge Mann schloss die Augen und wartete auf die Todesschreie.
»Schau da hin, Ulman!«, befahl der Onkel unwirsch. »Wenn dich jemand sieht!« Ulman gehorchte widerwillig. Ob Luzinde auch auf den Wagen saß? Wie würde sie wohl sterben?
Es wurde totenstill.
»Herr«, gellte ein Ruf von den Wagen herüber. »Hier ist niemand!«
Nun war die Aufmerksamkeit der beiden Patrizier geschärft. Ludewich stand in voller Rüstung auf dem Wagen. Er hatte die Plane heruntergezogen und hielt in jeder Faust ein Bündel Stroh. Auch von weiter vorne und hinten klangen Rufe der Enttäuschung. »Was soll das? Wollt Ihr uns auf den Arm nehmen?«
Ulman und Hosto lenkten ihre Pferde zwischen die Wagen. Der Onkel selbst zog einige Decken beiseite, trat aus dem Sattel Fässer um und riss einen Stuhl von der Ladefläche. »Stroh, Wasser und wertloser Tand!« Der Ratsherr fluchte.
Ulman zog eine Augenbraue hoch. Offenbar war es Luzinde, Mose und den anderen gelungen, den großen Hosto Stromer hereinzulegen. Das konnten nicht viele Menschen von sich behaupten. Doch sein Onkel hasste es, verhöhnt zu werden.
»Wo sind sie?«, schrie Hosto wutentbrannt und riss eine weitere Plane in den Dreck. »Wo sind die gottverfluchten Juden?«
»Wenn sie nicht hier sind, müssen sie noch in ihren Häusern sein«, warf Ulman ein. »Viele Hundert Menschen fliegen nicht mal eben so über die Mauer.«
»Ja!«, fiel Hosto ein. »Wenn die Juden nicht hier sind, haben sie sich verschanzt. Ihr könnt sie euch dort holen. Aber seid vorsichtig. Sie dürfen zwar keine Waffen tragen, aber sie werden sich nicht drum scheren.« Die Männer, die sich um ihren Anführer versammelt hatten, nickten mürrisch.
»Die Juden mögen mit Geld umgehen können«, nuschelte Ludewich und klopfte sich auf die Waffe. »In diesem Handwerk sind wir die Meister. Kommt, Leute!«
»Wartet!«, rief Hosto. »Ihr erkennt die Judenhäuser an den kleinen flachen Behältnissen an den Türzargen. Sie stehen fast alle zwischen Rathaus und Fleischbrücke. Brecht sie auf und stecht jeden ab, den ihr findet. Männer, Frauen, Kinder –
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