Die Lichtermagd
bislang im Kastenbett nachgeschaut – vielleicht hockte dort ja noch jemand? Er machte einen Schritt in den Raum hinein und zog an der Decke.
Da spuckte der Kerl, den er gerade abgestochen hatte, keuchend Blut und griff nach seinem Bein. Der Schneider schrie auf und stach nach der Brust des starken Burschen. »Stirb!«, brüllte er dabei. »Stirb endlich!« Immer wieder bohrte er die Klinge in das Fleisch des Mannes; so lange, bis seine Schulter von der Anstrengung schmerzte. Dann ließ er nach. Die Augen und das Gesicht des Angreifers waren leer. Er war tot.
Zitternd erhob sich der Schneider wieder und wischte sich über das Gesicht.Wie gut, dass am Ende dieses Tages niemand würde unterscheiden können, wessen Blut das war.
Männer kamen aus Gottschalks Haus. »Oh nein!«, rief Rebekka. Sie lief los. Luzinde erwischte gerade noch ihren Arm und zog sie unsanft zurück. »Rebekka! Jetzt können wir eh nur noch hoffen und beten!«
»Aber mein Jakob!«, weinte die Frau und wehrte sich gegen den Griff.
»Wir schauen gleich nach ihm!«, versprach Luzinde. »Lass die Kerle dort erstmal abziehen, dann sehen wir nach ihm!«
Sie warteten. Die Männer kamen in Grüppchen oder alleine aus dem Haus, mehr oder minder schwer beladen und teilweise mit Blut besudelt. Luzinde hatte dort nur einige Wochen gewohnt, doch selbst ihr wurde übel, als sie zusah, wie die zurückgelassenen Kostbarkeiten aus dem Hause getragen wurden.
Luzinde wollte schon hinter der Ecke hervortreten, da die Straße frei war, da erschien noch jemand in der Tür. Romer der Schneider stand dort, der Jakob damals auf dem Markt angegriffen hatte. Er war von oben bis unten mit Blut besudelt. Kalte Angst breitete sich in ihr aus. Was, wenn sie nur noch den stillen Körper des Jungen fänden? Was, wenn Jakob wirklich tot wäre? Bislang hatte sie noch gehofft, dass sie ihn lebend wiedersehen würden, durch irgendein Wunder gerettet.
»Man sollte den Mann erschlagen wie einen Hund!«, knurrte Wenzel.
»Das können wir nicht riskieren!«, flüsterte Luzinde. »Wenn uns dabei jemand zusieht?«
»Aber er ist doch der Anführer, sagtest du. Tötet man den Anführer, tötet man die Meute.«
»Sieh ihn dir an«, zischte Luzinde. »Dieser Mann hat vielleicht den Funken angeschlagen. Aber er hat nicht das Zeug zum Anführen. Diese Meute hat keinen Anführer.«
Einen Augenblick lang stand Romer im Eingang des Hauses. Schließlich eilte der Mann wie ein Trunkenbold taumelnd die Straße hinunter.
»Jetzt!« Wenzel sprang voran, das Schwert gezückt. Luzinde zog Rebekka hinterher. Sie liefen über die Straße – für den flüchtigen Beobachter hoffentlich nur einige von vielen Plünderern – und hinein in den Hauseingang. Die Tür hing gesplittert in den Angeln; dahinter lauerten Trümmer und Verwüstung. Alles, was nicht niet- und nagelfest gewesen war, lag teils zerschmettert auf dem Boden.Was die Männer zurückgelassen hatten, war nicht mehr Mose und Rebekkas Heim. Es sah noch so aus, und es barg die Erinnerungen daran, doch es war nun besudelt und fremd.
Sie begannen die Suche oben. Rebekka stürmte die Treppe hoch, hinauf zur Kemenate, und damit zu den Schlafgelegenheiten der Kinder. Gleich in der Tür lag der Leichnam eines Mannes. Sein Brustkorb war von vielen Messerstichen zerfleischt worden.
»Jakob?«, rief die Mutter mit zitternder Stimme. »Jakob!« Sie ließ sich schluchzend auf das Kastenbett fallen, als keine Antwort kam. »Oh, der arme Junge!«
Luzinde sah sich suchend um. Hier war der Frosch zuletzt aufbewahrt worden.War Jakob hier gewesen?Wenn ja – woran würde man das erkennen? Doch die verwüstete Kammer bot keine Verstecke, die ein Mensch nutzen konnte. Oder doch? Ihr Blick schweifte zurück zu dem Bett. Darin lagen mit Stroh gestopfte Matten und darüber Decken. Irgend etwas bewegte sich dort. Sie sprang schnell zum Bett, schob Rebekka beiseite und zog die Decken herunter. Sie wühlte im Stroh, riss die
Matten weiter auf und brachte schließlich einen zitternden Jungen hervor, der sich, zusammengekrümmt wie ein Neugeborenes und mit gelben Halmen gespickt, herausheben ließ. Er weinte stumm vor Angst – doch er war unversehrt.
»Jakob!«, rief die Mutter glücklich, zog den Jungen an ihre Brust und bedeckte ihn mit Küssen. »De lebst!«
Luzindes Beine drohten vor Erleichterung nachzugeben.Wenzel hielt sie für einen Augenblick fest. »Nichts passiert«, murmelte er. »Dem Buben geht es ja gut. Aber wir müssen
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