Die Lichtermagd
Ein kleines Mädchen lugte stumm durch den Spalt zu ihr auf. »Ich suche Stellung«, fuhr die Magd fort. Doch bevor sie weitersprechen konnte, schlug das Mädchen ihr die Tür vor der Nase zu. Luzinde runzelte die Stirn. Hatte sie etwas falsch gemacht? Doch nur wenige Augenblicke später gewährte ihr eine Novizin mit kurz geschnittenem braunen Haar und einem schlichten Wollkleid Einlass. »Das Kind ist schreckhaft«, entschuldigte sie sich. »Was willst du?«
»Ich suche Stellung«, brachte Luzinde erneut vor.
Also brachte die Novizin sie zur Mutter Oberin Agnes, die gerade die Wascharbeiten des Gesindes überprüfte. Die Mägde spülten, schlugen und seiften das helle Leinen der heiligen Frauen im Schweiße ihres Angesichtes. Luzinde stellte erfreut fest, dass hier ein weiteres Paar Hände sicher willkommen wäre. Der dünnen Oberin schlotterte der braune Habit der Klarissen beinahe am Leibe. Unter einem hellen und einem dunklen Schleier wirkten ihre Augen wie die eines Raubvogels, mit denen sie jeden Fehler und jeden Augenblick der Muße zu bemerken schien. Hier konnte sich niemand vor der Arbeit drücken.
»Du kennst hier niemanden?«, fragte die spitzgesichtige Oberin erstaunt, als die Magd bescheiden erklärte, dass sie neu sei und fremd in Nürnberg.
»Nein, Herrin.«
»Und du suchst hier eine Arbeit?«
»Ja, Herrin.«
»Was kannst du denn, du mageres Ding?«, fragte sie, während sie einer Wäscherin mit einer Rute ungeduldig auf die schon roten Finger klopfte. Die Frau blickte nicht auf, beschleunigte aber ihren Arbeitstakt.
Luzinde unterdrückte die schnippische Antwort, dass sie immer noch fülliger sei als die bereits ältere Mutter Oberin selbst. Offenbar bevorzugte die ihre Mägde kräftig, damit sie hart arbeiten konnten.
»Ich habe Dienst in … einem Hof heiliger Frauen getan, Herrin. Ich weiß, was in Küche und Hofhaltung anfällt. Ich kann auch Honig zeideln und Fische fangen und ausweiden.«
»Nun, Zeidlerinnen werden hier kaum nötig sein«, erwiderte die Oberin. »Aber vielleicht können wir im Haus Hilfe gebrauchen. Wer war deine Herrin?«
Die Magd zögerte. Ihr Magen kribbelte, als sie vor der Wahl stand, zu lügen oder zu schweigen, denn dass sie aus Pillenreuth kam, das durfte sie nicht sagen. Der Beginenhof war gar nicht fern und sicher bekannt. Wenn die Äbtissin dort nach ihrem Betragen fragen ließ, würde sie die ganze Wahrheit erfahren. Und das bedeutete, dass Luzinde über kurz oder lang wieder auf der Straße stünde.
»Himmelpfort«, log sie schließlich leise und vermied den Blick der Äbtissin. Jenes Kloster war das einzige Frauenkloster, das sie vom Namen her kannte. Zugleich hoffte sie, es läge zu weit weg, als dass man sich dort wegen einer Magd erkundigen mochte.
Die spitzgesichtige Mutter Agnes sah zu ihr herab und zog eine Augenbraue hoch. Das Geräusch sich plusternder Wäsche im Zuber füllte die Stille. »Soso, Kloster Himmelpfort, hm?«, sprach sie nachdenklich, und Luzinde fürchtete schon, dass die Lüge durchschaut worden war. Dann wurden ihre Züge weicher.
»Wie geht es denn der lieben Mutter Innozenzia? Hat sie ihr Fieber gut überstanden?«
Luzinde schlug das Herz hart im Leibe. Die Mutter Oberin kannte also auch die dortige Äbtissin. »Ich weiß nicht, Herrin«, flüsterte sie unsicher, »ich bin schon seit einigen Wochen fort …«
»Das erklärt allerdings nicht, warum du dort eine Mutter Innozenzia kennst, Lügnerin«, erwiderte die Mutter Oberin kühl, und Luzinde verstummte. »Die letzte ist dort vor zwölf Jahren verstorben.« Sie schüttelte abfällig den Kopf und wandte sich ab. »Mach, dass du rauskommst, bevor ich dir die Zunge herausschneiden lasse.«
Die Magd schluckte mühsam eine Antwort herunter und blieb allein zurück. Sie schalt man eine Lügnerin? Und die Worte der Oberin, mit denen sie sie hinters Licht geführt hatte, waren die denn keine Lüge gewesen? Luzinde atmete ein paar Mal tief durch, um sich zu beruhigen. Was hätte sie denn tun sollen? Die Wahrheit sagen, und deshalb nicht angestellt werden? Ihre Wangen brannten, und sie wollte nur noch raus aus dem Kloster.
In diesem Augenblick stupste sie von der Seite jemand an. Ein kleines Mädchen hielt ihr am ausgestreckten Arm eine Holzschüssel mit Wasser entgegen. Ihr langes honigfarbenes Haar fiel ihr glatt bis auf die Schultern, wo es sich erst in den Spitzen zu feinen Locken kringelte. Sie hatte blaue Augen, eine Stupsnase und eigenwillig geschwungene Lippen. Die
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