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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Unwillkürlich sah sie hinunter.
    Sie stand auf einem geknüpften Teppich mit eigenwilligen geometrischen Mustern. Das Gefühl der weichen Wollfäden zwischen ihren rauen Zehen war so zärtlich, dass Luzinde ein Knoten im Hals saß und sie die Feuchtigkeit aus den Augen blinzeln musste. Das Streicheln der Seidenfäden auf ihrer Haut verkörperte für sie in einer plötzlichen Erkenntnis alles, was sie mit Heimat verband. Doch sie trieb sich voran, die Stufen hinunter ins Erdgeschoss.
    Hier erreichte sie die Diele, in der ein angebrochenes Brot lag. Sie eilte zum Tisch und griff sich den halben Laib. Als sie zum Ausgang humpeln wollte, schmerzte der Muskel im Bein wieder, und sie stützte sich für einen Augenblick an einen Balken in der Mitte des Raumes und schöpfte Atem. Gott sei Dank, die Tür zur Straße stand leicht offen! Als sie genauer hinsah, entdeckte sie verwundert, dass am Pfosten der Tür ein kleines, kostbar verziertes Kästchen aus Metall schräg angenagelt war. Was das wohl für ein heidnischer Brauch war?
    »Das is en Mesusa.«
    Die Stimme des Alten ließ Luzinde erstarren. Konnte der Mann etwa Gedanken lesen? Das Herz pochte ihr im Leibe, und sie überlegte, ob sie zur Tür eilen sollte. Doch mit ihrem Bein käme sie kaum schnell genug hinaus. »Warum hängt sie da?«, fragte sie mehr aus Verlegenheit denn Interesse. Die gestohlene Decke und das Brot brannten ihr auf dem Gewissen.
    »Drin is en Pergament mit den ersten beiden Versen des Schma Jsrael«, erklärte er. »Des is des Bekenntnis auf den Einen und Einzigen.«

    »Ah.« Luzinde brannten die Wangen.
    Die Stimme des alten Mannes wurde innig und nahm einen singenden, beinahe deklamierenden Tonfall an: »Here, Israel: Der Herr ist dein einzig Gott. Und de sollst deinen Gott liben, von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und allen deinen Kreften – und deinen Nechsten wie Dich selbst.«
    Luzinde wandte sich erstaunt um. Die Verse kamen ihr merkwürdig vertraut vor. Zitierte der Jude da die Bibel? Wollte er ihren Glauben verspotten? Doch der Alte schaute ernst. »Kennst des?«
    »Der barmherzige Samariter«, erwiderte sie. Der Vater hatte diese Geschichte oft erzählt. Doch ihr war unwohl dabei, die Heilige Schrift mit einem Ungläubigen zu besprechen.
    Gottschalk nickte mit gerunzelter Stirn. »Krischt war ein Jid.Warum also sollten die Jiden nicht diselbe Baremharzigkeit kennen wie de Krischten auch?«
    Darauf hatte Luzinde keine Antwort. Sie hatte nie darüber nachgedacht, wenn sie ehrlich sein sollte, genauso, wie sie nie viel über die Juden nachgedacht hatte. Also zuckte sie mit den Schultern.
    »De kannst über dies Schwel geen wan imer de wilst. Ich halt dich nit. Du hast mich beschpotet und beschtolen.« Sein Blick war nicht freundlich, und Luzinde wagte nicht, ihm zu begegnen. »Doch wenn de die Lige zur Worheit machen wilst, kenst fer den Toler, den ich fer dich bezalt hab, arbeten. Für en Dach über dem Scheidel und en warme Sup am Tag.«
    Das warme Bett in der Kammer, die Suppe, der Römische Kümmel, ja der zärtliche Knüpfteppich in der Stube oben – mit einem Mal wirkte das alles gar nicht mehr bedrohlich, sondern behaglich und einladend. Luzinde sehnte sich beinahe so sehr danach zu bleiben, wie sie sich nach dem vertrauten Beginenhof verzehrte. Auch das machte sie wieder misstrauisch.
War dies eine Versuchung des Teufels? Sollte sie fest im Glauben bleiben und zu dieser Tür hinausgehen?
    »Oder de kanst geen«, Gottschalk wies auf die Tür. »Wan de wilst.«
    Luzinde zögerte noch. »Ihr wollt mich als Magd anstellen?«
    »Als Schabbesgoje.«
    »Was muss ich da tun?«
    »Was ein Mad so tut.«
    »Ist ein Schabbesgoje eine Magd?«
    »Ist ein Mad, de zind am Schabbes de Lichter an.«
    Damit war Luzinde so schlau wie vorher. »Ich muss nicht an euren Gebräuchen teilnehmen?«
    Gottschalk lächelte dünn. »Keinesfals. Kind, des wol’n wer gar nit.«
    »Und ich muss auch sonst nichts Unheiliges tun?«
    »Was dir umrein oder umheilig scheint, kannst de lasen.«
    »Und ich bekomme Lohn?«
    »Zehn Pfennig im Monat.«
    »Einen Groschen!«, feilschte Luzinde schnell.
    Der Alte seufzte ergeben. »En Groschen also.«
    »Und ich darf zur Kirche gehen?«, fragte Luzinde lauernd.
    Gottschalk runzelte verwirrt die Stirn. »Warum soltest nit zur Kirch geen dirfen?«
    Die Magd zuckte mit den Schultern, während sie nachdachte. Caspar der Krämer kam ihr in den Sinn, der um seiner Familie willen jüdisches Geld genommen hatte. Wie der König

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