Die Lichtermagd
Mentschen unter meinem Dach. Du solltest mir sagen, warum de dich rumgetrieben hast.«
Luzindes Brustkorb hob und senkte sich schwer. Sie erinnerte sich an die zornige Enttäuschung von Meisterin Elisabeth, als die erfahren hatte, wie lange die Magd sie belogen hatte. Ihr kam ein schlimmer Verdacht. War er vielleicht ein Mensch wie Margaret und wollte sich ihrer Sünde bedienen, um sie an sich zu binden und zu benutzen – für welche schlimmen Dinge es auch sein mochte? Hatte er deshalb von der Hütte erzählt? Nein, sie konnte dem Alten nicht berichten, was sie hergetrieben hatte. Also presste sie die Lippen aufeinander und schwieg.
Der Greis musterte sie noch eineWeile fragend. Dann wandte er sich seinen Papieren wieder zu. »Eins noch. Am Tag deines Hern kannst’e dir ein bissel Zeit nehmen. Jetzt sollten wer dich mal leren, was du wissen musst iber das Leben in diesem Haus, denn -«
Das Läuten von Kirchenglocken unterbrach die Unterredung. Luzinde kam die Unterbrechung nicht ungelegen – wenn sie ehrlich war, wollte sie gar nichts über jüdisches Leben erfahren. Sie brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, warum ihr Herz plötzlich schneller schlug. Dann aber horchte sie auf. War die Stadt nicht eigentlich gebannt? Durfte man denn die Glocken zur Messe rufen lassen, wenn der Bann des Papstes doch auf der Stadt lag? Als dieser heilige Klang vom Norden her über die Stadt schallte, wurde ihr erst klar, wie sehr sie die Glocken in all den Tagen, die sie bereits in Nürnberg weilte, vermisst hatte.
»Des klingt nach Sankt Sebald«, murmelte Gottschalk stirnrunzelnd und erhob sich. »Frei dich – jetzt kent ihr Krischten wider in de Mess.« Eine zweite, dann eine dritte Glocke fielen ein, und schließlich hallte über Nürnberg das Geläut so vieler Kirchen, dass es schwerfiel, ihre Zahl zu bestimmen. Jede einzelne davon verkündete die Erhabenheit des Herrn.
Der Alte erhob sich schwerfällig und humpelte zum Fenster. »Weißt de, was des noch heißt?«, fragte er nachdenklich, während er, eine Hand am Fensterrahmen, mit der anderen den Laden weiter aufschob. Luzinde schüttelte den Kopf und folgte seinem Blick zur Kaiserfeste.
Gottschalk runzelte die Stirn. Er sah beunruhigt aus. »Kenik Karl is wider der Her in Nirnberg.«
Am nächsten Morgen sprang Luzinde aus der Tür des Judenhauses, hinaus auf die Straße, und sah sich um. Überall liefen Menschen entlang und riefen: »Der König! Der König kommt!«
Arm und Reich gleichermaßen drängten auf die Straßen. Ganz Nürnberg schien auf den Beinen.
Eine Unruhe hatte von der Magd Besitz ergriffen. Seit die Glocken, die den Einzug König Karls ankündigten, die ganze Nacht hindurch die Erlösung der armen Seelen Nürnbergs verheißen hatten, wünschte sie sich nach Sankt Laurentius. Sie hastete wieder ins Haus, lieh sich von Rahel ein paar Trippen, die sie unter die bloßen Füße schnürte, damit sie nicht Kot und Dreck in die Kirche trug. Dann lief sie los, den Menschen hinterher, die den Einzug des Herrschers nicht verpassen wollten. Sie aber wollte zum heiligen Laurentius beten, dem Patron der armen Seelen.
»Der König kommt!«, gellte es wieder durch die Menge, und »Karl ist bereits in der Stadt!«. Je näher Luzinde der Kirche kam, desto voller wurde es. Bald hörte sie Jubel aufbranden und musste sich durch die Menge der Wartenden schieben. Als sie die leichte Steigung zum Kirchhügel hinauf nahm und auf der anderen Seite herunterschauen konnte, da wusste sie, was der Aufruhr bedeutete. Dort unten näherte sich durch die begeisterte Menschenmasse ein prachtvoll anzuschauender langer Reiterzug. Vorne trugen zwei Ritter in Kettenrüstungen den goldenen Adler des Reiches und den böhmischen Löwen. Danach folgten Reihen um Reihen Berittener. Luzinde schob sich durch das Gedränge, bis sie beinahe vor Sankt Laurentius stand. Auch sie reckte voller Neugier den Hals.
Endlich näherte sich ein Pavillon aus prachtvollem gold-roten Brokat, an vier Stangen von Reitern in geschwärzten Kettenhemden und goldenen Wappenröcken getragen. Darunter ritt der König. Die Magd blinzelte, denn durch den Schatten von Baldachin und Kirche konnte sie den Herrscher kaum ausmachen. Sie sah bloß eine Silhouette, die der jubelnden Menge bisweilen zunickte oder grüßend eine Hand hob. Gleichzeitig
hielt der Mann das weiße Pferd stets genau mittig unter dem königlichen Baldachin, als wüsste er um die beste Wirkung seines Auftretens. Auch der königliche
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