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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Reichsforstes erstreckten. Dort unten lag alles ruhig da. Sie war froh über die Abgeschiedenheit dieses Ortes. In ihrem Inneren aber fand ein Kampf statt. Sollte sie sich ihm offenbaren? Ein Teil von ihr fürchtete, dass Ulman sie nur deshalb interessant fand, weil er sie für eine Jüdin hielt. Doch wollte sie unter dieser Larve weiterleben? Wollte sie nicht, dass er endlich sie selbst sah?
    »Luzinde?« erklang seine Stimme ganz nah an ihrem Ohr. Er war ihr gefolgt und stand nun hinter ihr. Sie spürte seinen Atem in ihrem Nacken, und eine Gänsehaut überfuhr sie. »Was gibt es denn, das dich so aufwühlt?«
    Langsam drehte Luzinde sich um und sah ihm tief in die Augen. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen, neigte den Kopf zu ihm hinauf und küsste seinen Mund mit weichen Lippen. Ulman blinzelte erstaunt, dann legte er die Hände sanft auf ihre Schultern und erwiderte ihren Kuss.
    Luzindes Herz raste. Ihre Sehnsucht nach seiner Berührung verbrannte jeden sinnvollen Gedanken. Sie wünschte, dass dieser süße Augenblick ewiglich dauern würde. Plötzlich aber
fürchtete sie sich vor dem Moment, in dem sich ihre Lippen voneinander lösten und sie Ulman in die Augen schauen musste. Was dann passieren würde, wusste allein Gott der Herr.
    Würde Gottschalk davon erfahren? Oder würde sie den alten Mann auch belügen müssen? Luzinde wusste mit einem Mal, dass sie das nicht würde ertragen können. Sie löste sich von Ulman und sah ihn bloß an. Dann drehte sie sich um und lief davon.

KAPITEL 10
    A uch weiterhin ließ Luzinde Ulman darüber im Unklaren, dass sie eine Christin war. Der Augenblick auf dem Felsen hatte sie beide verbunden. Trotzdem hatte sie es dort nicht übers Herz gebracht, sich ihm zu offenbaren. Zuerst war es ein Missverständnis gewesen. Nun war es offensichtlich eine Lüge. Sie wusste selbst nicht genau, was sie zurückgehalten hatte. Aber sie beließ es dabei.
    Da Ulman sie immer noch für eine jüdische Magd hielt, sprach er viel und gerne mit ihr über Familie, Glauben und Ritus. Luzinde erklärte ihm die eine oder andere ihr bekannte Eigenart der Juden. Ihn interessierten viele Dinge – die Gebetsriemen und -schals der Männer, die Judenschule, in der mindestens zehn Männer versammelt sein mussten, um einen Gottesdienst abhalten zu dürfen, wie oft man sich zum Gebet versammelte, ob es eine jüdische Bibel gäbe und ob sie das Heiligtum einer Judenschule wäre, was die Schrifttafeln am Eingang jüdischer Häuser zu bedeuten hatte, und vieles mehr. Als Ulman sich darüber wunderte, dass Luzinde nicht mit demselben Akzent wie die Familie Gottschalk sprach, vollendete Luzinde ihre Lüge tatsächlich. Sie redete sich damit heraus, dass sie eine Großnichte Gottschalks aus einem weniger strengen Haushalt sei, in dem die Eltern nicht so religiös lebten und kein Jiddisch sprachen. Diese Ausrede rettete sie auch über so manche Unwissenheit hinweg, die sie sonst als Nichtjüdin verraten hätte.
    Denn seit sie sich davon überzeugt hatte, dass weder Gottschalk noch seine Familie sie zum nächsten Festtagsmahl schlachten
würden und auch keine Christenkinder zu essen schienen, erschloss sich ihr die Faszination dieses Glaubens. Bei all den Details des jüdischen Lebens half Luzinde der kleine Jakob, der in der Schul gerade die Tora lernte und bereitwillig über alles Auskunft gab, was ihre Neugier erweckte.
    Mehr und mehr wagte sie sich auch mit den Juden in die Öffentlichkeit. Rebekka ging mit dem Gesinde ein oder zwei Mal in der Woche auf den Markt, und ab und an durften die Kinder sie begleiten. Nachdem Luzinde ein paar Mal im Haus geblieben war, bat sie die Hausherrin in der dritten Woche des Oktobermonats, sie begleiten zu dürfen. Die Woche ging wieder einmal auf einen Schabbesabend zu, und die Frauen wollten Vorräte für den Festabend einkaufen. Als auch Jakob die Mutter anflehte, sie mitzunehmen, willigte Rebekka schließlich ein und hieß sie die Kinder beaufsichtigen. Dass die Jüdin ihr die Verantwortung für ihre Kinder anvertraute, flößte ihr großen Stolz ein.
    Luzinde wunderte sich darüber, dass ihr Weg sie auf den schmalen und völlig zugestellten Markt auf der Straße zwischen Fleischbrücke und Sankt Sebald führte. Sie hätte nicht gedacht, dass Juden dort einkauften, wo die Christen ihre Geschäfte tätigten. Viele Dinge mussten die Juden sogar bei den christlichen Händlern erstehen.Vor Feiertagen durften sie erst zu gewissen Tageszeiten einkaufen, damit den Christen

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