Die Lichtermagd
schon heimisch, was?« Sie zog das Holz aus dem Bogen, streifte die Schuh ab, hockte sich nieder und kroch in das kurze Gangstück. Es war sehr niedrig und ausgesprochen schmal und uneben – allein sich darin umzudrehen bedurfte schon ein wenig Geschick. Hinter dem Durchlass konnte sie sich aber immerhin
aufrichten. Dann sah sie eine Abzweigung. War dies die Lochkanalisation, von der die Nürnberger so stolz berichteten? Sie platschte fröstelnd durch das kalte Wasser und reichte schließlich mit der Hand nach der kleinen Kreatur, die auf einem kleinen Vorsprung des grob behauenen Gangs saß, und barg ihn zwischen den Fingern. »Ich weiß, wie es dir geht«, murmelte sie. »Du fühlst dich wie ein Fisch auf dem Ufer, wie? Du versuchst zu schwimmen, so wie du’s immer machst, aber du kommst einfach nicht vorwärts. Weil’s kein Wasser gibt.« Das merkwürdig-reibende Quaken ertönte wieder, und die Bewegung kitzelte an ihrer Handfläche. Lächelnd erinnerte sie sich daran, dass dieser Frosch der Anfang der Neckereien zwischen ihr und Jakob gewesen war.
»Natürlich!«, rief sie aus. »Du wirst mein Bote sein, kleiner Frosch. Du wirst Jakob von mir ausrichten, dass ich …«, sie schluckte und zögerte. Dann sprach sie es aus. »Dass ich ihn liebhab.« Ein ängstliches Quaken schien ihr eine Antwort zu geben. Sie schmunzelte. »Keine Angst, er versteht dich auch so.« Damit steckte sie den Frosch in den Beutel an ihrer Schürze. Zuerst würde sie ihrer Arbeit nachgehen. Den Frosch würde sie wieder in den Krug am Bett stecken, wo er noch ein wenig warten müsste. Doch schon bei dem Gedanken an ihren Plan ging ihr der Rest des Tages viel leichter von der Hand.
Später am Tage erbat sie sich von Rahel die Gunst, den Kindern ihren Nachttrunk hinauf in die Schlafkammer bringen zu dürfen – Milch, dick mit Honig und Kräutern angemischt, so dass sie süß und köstlich schmeckte. Als Luzinde die Krüge auf die Kammer stellte, vergaß sie nicht, einen zusätzlichen Krug mit feuchtem Gras hinzuzufügen. Den Milchkrug stellte sie neben das Bett der Kinder. Den anderen mit dem Frosch bedeckte sie mit einem schweren Leinentuch und legte ihn
ans Ende des Bettes – sorgfältig bedeckt von der Schlafdecke der Kinder. Sie hoffte, das Tier würde nicht zu früh herauskriechen.
Als Luzinde die Kammer verließ, prallte sie mit Rebekka zusammen, die gerade ihre Kinder vom Gebet brachte. Im Hintergrund lösten Gottschalk und Mose die Gebetsriemen von Kopf und Arm; schwarze Lederbänder mit kleinen Kästchen daran.
»Was machst de hier?«, fragte die Hausherrin kühl. Luzinde senkte den Blick. »Ich bring nur den Nachttrunk, Herrin.«
»Des macht doch de Rahel«, schnappte Rebekka, während Jakob sich grob in die Kammer drängte.
»Rahel hat noch zu tun, Herrin«, log die Magd.
»Geh weg.« Die Frau schob Luzinde beiseite und betrat die Kammer. Sie sah sich misstrauisch um. Sie durchstöberte einige Pergamente auf dem kleinen Pult, öffnete die Truhe und untersuchte schließlich die Bettstatt. Sie hob auch die Decke hoch, und Luzinde hielt den Atem an. Doch die Mutter übersah den Krug unter dem Tuch. Dann kehrte sie zu den Pergamenten zurück und sah sich jedes einzelne an, bevor sie sie wütend zu Boden fegte und Luzinde anfunkelte. »Haste was farschtekt?«
»Was denn, Herrin?«, log die Magd erleichtert.
»Eine Botschaft, oder nit?«
»Nein, Herrin. Ich habe keine Botschaft versteckt.« Luzinde schlug die Augen nieder und hoffte, dass die Frau ihr nicht ansah, dass sie zumindest teilweise log. Kurz glitt ihr Blick über das Bett. Sie hoffte, dass der Frosch nicht ausgerechnet jetzt seine Backen aufblasen wollte, um sich über sein Gefängnis zu beklagen. Als sie wieder aufsah, musterte die Hausherrin sie noch immer. Luzinde erstarrte.
»Raus mit dir«, zischte Rebekka und wandte sich um. Luzinde machte eine kleine Verbeugung – mehr aus Gewohnheit denn aus Respekt, doch die Wirkung dieser Geste auf Rebekka entging ihr nicht. »Wir brauchen dich heut nit mer«, setzte sie sanfter hinzu.
»Ja, Herrin.« Die Magd ging, doch ihr Herz klopfte vor Freude. Rebekka hatte den Krug nicht gefunden. Doch Jakob würde ihn entdecken, und er würde wissen, dass sie an ihn dachte.
Als Luzinde am nächsten Tag morgens das Essen auf den Tisch der Kemenate stellte, suchte ihr Blick den des Jungen. Und während Gottschalk, das helle Gebetstuch übergeworfen und die Riemen angelegt, den Segen begann, da lugte Jakob seitlich, zur
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