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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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grausam sein? Wie konnte er sie vor die Wahl stellen, ihr Kind wiederzusehen oder Gottschalk und seine Familie im Stich zu lassen? Luzinde erinnerte sich an jene stürmische Nacht, in der sie alles dafür gegeben hätte, das kleine krähende Bündel in den Arm zu nehmen und zu halten – nur für einen Moment. Die Sehnsucht von damals lebte wieder auf, als wäre es gestern gewesen, und verkrampfte jede Faser ihres Körpers.
    Als Luzinde aufsah, merkte sie, dass ihre untreuen Füße sie doch zum Zotenberg zurückgetragen hatten. Sie hielt inne und starrte auf das Haus Gottschalks, und das von Ysaac, und das von Nathan. Sie waren alle bereits durch Laternen erhellt, denn es dunkelte. Ein helles Kinderlachen ertönte, und Bel schalt laut ihren kleinen Bruder. Unwillkürlich kräuselte ein Schmunzeln Luzindes Lippen. Was der kleine Racker seiner Schwester jetzt wohl wieder angetan haben mochte?
    Dann gefror das Lächeln auf ihren Lippen. Die Friedlichkeit, die das gemütliche Licht ausstrahlte, war trügerisch. Sie selbst hatte gehört, was Hosto Stromer gesagt hatte. Die Juden sind des Königs, und der König kann sie verkaufen. Und sie erinnerte sich an den Mann mit den grauen Augen unter der Krone.
Würde er das tun – die Juden verkaufen? Sie waren doch seine Schutzbefohlenen! Dann wanderte ihr Blick auf das Haus Ulrich Stromers, das direkt neben dem von Gottschalk stand. War Ulman gleich zu seinem Oheim gelaufen, um ihm von der Begegnung zu berichten? Eine verzweifelte Wut machte sich in ihr breit. War sie für ihn von Anfang an nur ein Werkzeug, ein Spitzel im Hause Gottschalk gewesen? Vermutlich hatte er nur so viel Zeit mit ihr verbracht, weil sie sich so leicht aushorchen ließ.Was für eine dumme Gans sie gewesen war! Was sollte ein reicher Patriziersohn wie Ulman sonst wohl von einem armen Ding wie ihr wollen? Sie hatte sich einmal mehr von einem Traumgespinst verführen lassen. Gottschalk hatte Recht damit behalten, sie vor ihm zu warnen. Sie hatte nicht auf ihn gehört, hatte den Feind eifrig mit Vertraulichkeiten gefüttert, die sich nun vielleicht gegen jene wenden würden, die ihr Freundlichkeit gezeigt hatten. Und sie hatte sich ihm an den Hals geworfen wie eine Hure.
    Luzinde stellte fest, dass ihr alles Grübeln nicht helfen würde. Sie musste sich entscheiden, ob sie morgen mit Gottschalk nach Prag fahren würde oder nicht.Wenn sie es nicht tat, verringerte sie vielleicht seine Aussichten, beim König Gehör zu finden. Aber wenn sie es tat, wenn sie mitfuhr – dann verspielte sie die letzte Chance, ihr Kind jemals wieder zu sehen.
     
    Als Sankt Leonhardi dämmerte, saß Luzinde nach dem Morgengebet – dem Schacharit , wie sie inzwischen wusste – neben Gottschalk auf dem Wagen. Der Abschied von jenem Ort, den sie gegen alle Erwartungen ihr Zuhause hatte nennen dürfen, fiel ihr erstaunlich schwer. Jakobs wütende Tränen erinnerte sie schmerzhaft an die Trennung von Anna und dem kleinen Thomas. Doch sie bewiesen ihr auch, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sie hatte kaum geschlafen, weil sie
so viel gegrübelt hatte. Die Aussicht, ihr Kind nach all den Jahren wieder in die Arme zu schließen, war so verlockend, dass es fast schmerzte. Doch Luzinde konnte ihre Augen nicht davor verschließen, dass sie dann an jeder Untat, die den Nürnberger Juden geschähe, mitschuldig werden würde.
    Der Knecht Fischlein lenkte den von einem kräftigen Falben gezogenen Wagen den Zotenberg hinunter. Luzinde sah noch einmal zurück und prägte sich das behagliche Haus ein. Als sie dort an ihrem ersten Tag erwacht war, hätte sie niemals gedacht, dass sie es irgendwann einmal vermissen würde. Doch schon nach wenigen Umdrehungen der Räder fehlte ihr das Gefühl des weichen Teppichs unter ihren Füßen, die ruppige Art Rahels und das schelmische Grinsen von Jakob. Dann glitt ihr Blick zum Nachbarhaus. Am Fenster von Ulrich Stromers Haus stand eine Gestalt und sah ihnen nach. Sie wusste, dass es Ulman war. Sie wandte ihren Blick ab.
    Als der Zotenberg außer Sicht war und Luzinde mit klopfendem Herzen den jüdischen Schleier mit der blauen Borte überlegte, kam es ihr bei der Fahrt durch Nürnberg beinahe so vor, als hätte ein Teufel die Zeit verlangsamt. Sie schielte in die Gesichter der Menschen um sie herum. Sicherlich würden diese sie doch sofort als Betrügerin enttarnen? Sie sah nicht aus wie eine Jüdin, noch wusste sie sich wie eine zu benehmen. Was sollte sie tun, wenn ihr jemand den

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