Die Lichtermagd
Dann war Luzinde an der Reihe. Auch sie goss sich das Wasser je zweimal über jede Hand und sprach dabei leise und zittrig: »Baruch ata adonaj elohejnu melech ha’olam, ascher kidschanu bemizvotav, vezivanu« , dann zögerte sie. Der erste Teil war immer derselbe, eine Preisung Gottes, und auch der war schon schwierig genug auszusprechen. Der zweite Teil war der spezifische Segen. Sie hatte mehrere davon auswendig gelernt. » leha -«
Gottschalk schüttelte sanft den Kopf. Also war es der falsche gewesen. Aber welches war der richtige Spruch zum Händewaschen? Sie biss sich auf die Lippen. Eigentlich konnte sie gut
auswendig lernen – aber wenn man nicht einmal wusste, was die Worte bedeuteten, dann war das nicht so einfach. Sie setzte erneut an. » Al netilas jadajim .«
Der Greis nickte anerkennend. »Sprichst nu den Segen?«
Auch das noch! Luzinde kramte in ihrem Gedächtnis. Ihr Kopf schwirrte vor merkwürdigen Begriffen nur so. Der erste Teil war einfach, den zweiten fügte sie wieder stockend hinzu. Gottschalk lobte sie, doch dann sprach er den Segen selbst noch einmal.
»Reicht es nicht einmal?«, fragte sie stirnrunzelnd.
»De bist doch kein Jidene«, sagte Gottschalk. »De plapperst de Worte, aber de glaubst nit daran. Da sag ich se selbst noch mal.« Danach begann er das Birkat Hamason zu beten, wie er ihr erklärte. Das war das dankende Tischgebet, in dem Gott und dem Land gedankt, um den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem gebetet und mit einem weiteren Dank und Bitten abgeschlossen wurde. »Ich werd fir ein sichere Reis beten«, erklärte der Alte. Nach dem Essen wurde die Waschung der Hände wiederholt und dabei gebenscht, wie er es nannte, bevor er den Tischdank sprach.
Schließlich zogen die Männer sich an eine Hecke zurück und sprachen das Nachmittagsgebet, auch wenn es dafür noch zu früh war. Jeder legte sich den Tallit über den Kopf. Dabei handelte es sich um ein Tuch aus heller Seide, das mit blauen Streifen und vier mehrfach geknoteten Fäden verziert war, die man Zizit nannte. Jeder Jude trug es unter der Kleidung. Dann schnürten sie sich die Gebetsriemen um Arm und Stirn, die sie Tefillin nannten.
Luzinde harrte auf der Bank aus und hielt Ausschau, ob jemand herüberschaute. »Denn’s is nit gut in der Fremd«, hatte Gottschalk gesagt. »De Krischten seen des nit gern.« Dabei betete sie ein stummes Ave Maria und bat um Vergebung für
die ketzerischen Handlungen, die sie hier vollführte. »Im Herzen glaube ich nur an Gott«, versprach sie. Sie bekam dabei ein vages Gefühl dafür, was es hieß, seinen Glauben verbergen zu müssen – man musste stets um Kontrolle bedacht sein, um nicht etwa aus Versehen ein »Gott sei Dank!« oder ein »Jesus und Maria!« auszustoßen, das einen verraten konnte. Was sie nur kurz erdulden musste, war für Gottschalk in der Öffentlichkeit zur Gewohnheit geworden.
Auf dem zweiten Teil der heutigen Reise übernahm Luzinde die Zügel des Falben, und Fischlein lief neben dem Wagen her. Sie wickelte sich die Leinenstreifen um die Finger, um nicht wundgescheuert zu werden. Sie hatte schon in Pillenreuth gerne die Heukarren gelenkt, wenn es sich einrichten ließ, doch dieses Gefährt fuhr ungleich leichter und beweglicher. Sie schnalzte laut und ließ das Tier schneller ausschreiten. Sie genoss die Schnelligkeit, mit der sie durch das Land zog, und erfreute sich an jeder Wegbiegung, die der Wagen hinter sich ließ. Doch der Falbe machte diese ungewohnten Spielchen nicht lange mit. Irgendwann legte er die Ohren an, streckte den Hals durch und brach zur Seite aus. Luzinde zog an den Zügeln, erst zaghaft, dann härter, doch das Pferd ließ sich nicht mehr lenken. »Er hat des Gebis zwischen de Zene geklemt«, rief Gottschalk hinter ihr. Er hatte das Wachstuch beiseite geschoben, das den Innenraum gegen das Wetter schützte. Der Gaul wählte inzwischen sein eigenes Tempo, und es half wohl auch nicht, dass Fischlein rufend hinterherlief, um sie wieder einzuholen.
»Must zihen!«, rief Gottschalk.
»Ich kann nicht!« Luzinde konnte die Zügel nicht weiter festhalten. Sie rollten auf ein Gebüsch zu, das das Pferd und Luzinde schmerzhaft peitschte. Der Falbe warf sich blind zur anderen Seite und lief noch schneller – doch nun kam er einen
Hügel hinauf. Plötzlich ruckte Luzinde, die sich in die Zügel gestemmt hatte, zurück. Das Zugtier musste vor lauter Schreck das Gebiss losgelassen haben.
Endlich kam der Holzwagen zum Stillstand. Es war auch
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