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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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blühte.
    »Professor Burr, ich möchte Ihnen danken. Für alles, was Sie für mich getan haben!«
    Wer war denn das? Eine Studentin? Nein, dazu passten weder ihre Erscheinung noch ihr Auftreten. Jemand, der ihn einmal um Rat gefragt hatte? Irgendwie kam sie ihm bekannt vor. Wer verflixt nochmal war sie?
    »Entschuldigung«, sagte George Lincoln verwirrt, »aber ich weiß nicht…«
    »Joana Shriver!«
    Da fiel es ihm wieder ein. Das Mädchen, das sich nach dem Tod ihres Freundes umbringen hatte wollen und dessentwegen er zwei Schiffe angehalten hatte.
    »Und?«, fragte er lächelnd. »Ist das Leben nicht doch schön?«
    Joana Shriver errötete leicht und nickte. »Ja. Ich war damals ein verzweifeltes, dummes Ding, hätte beinahe mein Leben weggeworfen!«
    »Woher wissen Sie eigentlich, dass ich aus Europa zurück bin?«, fragte er.
    »Mein neuer Freund studiert hier in Cornell!« Sie wurde noch eine Spur röter.
    »Aha!«, sagte Burr. »Und was studiert er?«
    »Geschichte!«
    »So, so, Geschichte. Dann werde ich ihn wohl bald kennen lernen!«
    »Sie kennen ihn schon!«, antwortete sie. »Es ist Andrew Hopkins!«
    »Aha!«, sagte Burr nochmals. »Netter Kerl!«
    »Ich wollte zu den Ersten gehören, die Sie willkommen heißen, und meine Dankbarkeit ausdrücken. Das hier«, sie deutete mit dem Kopf auf den Kaktus, »ist ein Echinocereus, ein Ableger eines Geburtstagsgeschenks, das mir mein verstorbener Freund gemacht hat. Er blüht in vielen Farben, wie nun wieder auch mein Leben, das ich Ihnen zu verdanken habe!«
    »Schon gut!«, wehrte er leicht verlegen ab.
    »Er ist sehr pflegeleicht!«, sagte sie und streckte ihm den Topf entgegen.
    »Also genau das Richtige für einen Mann!«, schmunzelte Burr. »Er wird einen Ehrenplatz auf meinem Schreibtisch bekommen!«
    George Lincoln nahm die Pflanze entgegen, suchte nach einem freien Platz, wollte ein Blatt Papier zur Seite schieben.
    Erst auf den zweiten Blick bemerkte er, dass es mit einem Reißnagel am Holz befestigt war. »MALLEUS
    MALEFICARUM« stand da dick unterstrichen in
    Großbuchstaben. Er erkannte Whites markante Handschrift.
    Die Sammlung besaß doch schon drei Exemplare des
    »Hexenhammers« aus verschiedenen Ausgaben! Noch den Kaktus in der Hand, ging Burr ein wenig um den Schreibtisch herum, um besser lesen zu können.
    »Antiquariatsangebot. Vermutlich aus dem Erstdruck, Datumseintrag vom April 1487. Bitte umgehend darum kümmern!!!!«
    George Lincoln dachte, dass in diesem Falle ein einziges Ausrufezeichen auch genügt hätte.

    Teil III

    Wehmütige Klage

    22

    Klatschend brachen sich die Wellen an der Kaimauer in Amsterdam und zogen sich dann schmatzend zurück. Vom Meer her wehte eine steife Brise, in der Luft hing das Gekreische der Möwen, Entenmütter pflügten mit ihren Jungen durch das schwarze Wasser. Hermann Löher fröstelte. Er warf einen letzten Blick auf das aus den indischen Kolonien einlaufende Handelsschiff, stülpte seinen Mantelkragen hoch und wandte sich zum Gehen. Amsterdam war nun seine Heimat. Er war Bürger dieser Stadt, war stolz darauf, aber sein eigentliches Zuhause würde er nie wieder sehen. Rheinbach.
    Was war aus dem schönen Städtchen geworden? Ein
    heruntergekommenes, verarmtes Nest! Bitterkeit und ohnmächtige Wut machten sich in ihm breit, füllten ihn aus.
    Rheinbach! Allein der Gedanke an das Wort genügte und sie standen wieder vor ihm. Beinahe jeden Tag kamen sie, selbst in der Nacht ließen sie ihn nicht in Ruhe. Als Erster tauchte meist Franz Buirmann auf, ihm folgte Jan Moeden, Christina Böffgen erschien zusammen mit Hilger Lirtz und Doktor Schwegeler. Dietrich Halfmann urinierte unter den Tisch, Melchior Heimbach zählte Geld, Johann Bewell soff, Johann Thynen nickte, Augustin Strom hob einen Zuckerhut, Herbert Lapp blickte unsicher, ebenso Richard Gertzen. Hinter diesen drängten andere in seinen Kopf, Hilger Lirtz’ Magd war da, das Ehepaar Peller, Schall von Bell, Dietrich von der Stegen und wieder dahinter weitere, deren Gesichter allerdings verschwommen waren. Vierzig Jahre war es nun schon her, aber sie verfolgten ihn noch immer, ließen ihm keine Ruhe.
    Hermann Löher blieb stehen, zog seine rechte Hand aus der Manteltasche, hielt sie nahe unter die Augen und betrachtete sie. Die Haut war welk, mit braunen Flecken gesprenkelt, spannte sich gelb über die Knöchel.
    »Allzu viel Zeit verbleibt dir nicht mehr«, murmelte er, verwarf sein ursprüngliches Vorhaben, in sein Haus in der Koningstraat

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