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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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blutbesudelte Glas! Es ist eine fertige vollständige Abschrift. Ich habe noch ein fiktives Kapitel in Form eines Zwiegesprächs zwischen einem Hexenrichter und mir eingefügt, das sich auf das Buch von Schultheiß bezieht. Ihr könnt die Abschrift haben, sorgt aber bitte dafür, dass sie nicht in falsche Hände gelangt! Ich hänge noch ein wenig an meinem Leben!«
    »Versprochen! Es wird uns eine wertvolle Hilfe sein, um das Werk von Schultheiß entsprechend zu würdigen!«, antwortete Habbel süffisant und Haustadt nickte grimmig.

    Ein warmer Frühlingshauch strich über das Land, die Obstbäume blühten weiß und rosa, gelb stand der Löwenzahn im Wiesengrün, Vögel zwitscherten im Geäst und die ersten Bienen wagten sich aus ihren Stöcken.
    Heinrich von Schultheiß hörte nichts, sah nichts von der Pracht und der Vielfalt des erwachenden Lebens um ihn herum. Den Kopf schwer in die Hände gestützt, saß er draußen bei den Fischteichen in seiner Laube. Bestimmt schon ein Dutzend Mal hatte er es gelesen, aber sein Verstand weigerte sich aufzunehmen, was hier stand. Wieder und wieder fing er von vorn an, las das Gutachten der theologischen Fakultät von Köln, aber es ging einfach nicht in seinen Kopf.
    Sein fünfhundert Seiten starkes Werk stehe auf unsicherem Fundament, beruhe auf Mutmaßungen, stand da, auf
    liederlichem, frevlerischem Nachdenken und er, Schultheiß, unterstelle Gott Urteile, welche selbst den seligen Geistern unbekannt seien, und andere unerforschliche Dinge dazu.
    Ferner missbrauche er Gottes Wort, komme zu bösen Folgerungen, fälle leichtfertige Urteile und insgesamt sage es genau das Gegenteil dessen, was er im Titel versprochen habe, nämlich dass man gegen Unschuldige gefahrlos prozessieren könne. Was dann folgte, war vernichtend, roch unverkennbar nach der »Cautio criminalis«.
    Hatte da noch jemand anderer seine Finger im Spiel? Stappert vielleicht? Ach was, das war ein kleiner, dummer Landpfarrer!
    Woher sollte dieses unbedeutende Pfäfflein Beziehungen zur theologischen Fakultät haben? Schultheiß verwarf den Gedanken wieder und las weiter, auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubte.
    Wie, so hieß es da, sollte jemand, der von einem solchen Richter verhaftet worden ist, aus der Sache herauskommen?
    Denn alsbald wird der Gefangene ausgeforscht, die Indizien gegen ihn werden mit für ihn unverständlichen Fragen vermischt, sodass er nicht wissen kann, was sie tatsächlich gegen ihn in der Hand haben. Bekennt er, so wird er verbrannt, leugnet er, so wird er dreimal gefoltert. Und das ohne neue Indizien. Bekennt er nach der Tortur, so wird er verbrannt.
    Widerruft er, so wird er nochmals gepeinigt. Wenn er aber auch in drei Folterungen nicht gesteht, so bleibt er so lange in Haft, bis neue Indizien gegen ihn vorliegen. Durch welche Weise, war die abschließende Frage, soll dann der Unschuldige freikommen?
    Langsam ließ Schultheiß das Gutachten sinken, starrte hinüber zu den Fischteichen. Er spürte Bangigkeit, die sein Herz mit eiserner Faust umschloss. Was, wenn sich der Fürst nun anders besinnen würde? Schließlich war es seine Hoheit gewesen, die das Gutachten in Auftrag gegeben hatte. Er würde seine Beziehungen spielen lassen müssen und beweisen, dass das Gutachten nichts anderes war als weltfremde Schlussfolgerungen ahnungsloser Gelehrter. Und bis jetzt hatte Fürst Ferdinand schließlich noch immer auf ihn gehört.

    21

    George Lincoln Burr war endlich wieder daheim. Vor der Überfahrt hatte er in Den Haag wie von White gebeten noch einige Dokumente eingesehen, die den Grenzverlauf zwischen Venezuela und Britisch Guyana betrafen. Sein erster Besuch in Amerika galt seinen Eltern, und was er in Newark Valley vorfand, erschütterte ihn. Grau waren sie beide geworden, der Vater noch hagerer, als er immer schon gewesen war, und einsilbig, seine Mutter gebeugt von der Bürde des Alters.
    Überrascht von seinem unerwarteten Erscheinen, hatte sie gleich nach seinem Eintreten verschämt versucht, unauffällig ihre Schürze auszuziehen. George Lincoln aber hatte wohl bemerkt, dass sie schon vielfach geflickt war. Von oben kam das nicht enden wollende bellende Husten seines
    lungenkranken Bruders, der sich nun langsam, wie ein Greis an das Treppengeländer geklammert, Stufe für Stufe nach unten tastete. Nie hatten sie in ihren Briefen erwähnt, wie schlimm es um sie stand.
    »Er hat einen Rückfall erlitten. Man hat ihn nochmals operieren müssen!«, sagte der alte

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