Die Lichtfaenger
Tage später wurde Loos zum Weihbischof bestellt. Peter Binsfeld begrüßte ihn freundlich, fragte, was die Arbeit mache, und bekundete seine Freude darüber, dass er, Loos, so regen Anteil am öffentlichen Leben nehme und sich nicht scheue, juristische Angelegenheiten zu hinterfragen.
Wie er das Wort »juristische Angelegenheiten« betonte, ließ Loos aufhorchen.
»Mein lieber Mitbruder«, fuhr Binsfeld unvermittelt fort,
»mir wurde zugetragen, Ihr mischt Euch hier mit Eurer Meinung in Dinge ein, deren Hintergründe Ihr nicht kennt. Ich unterstelle Euch damit keine Böswilligkeit oder gar, dass Ihr Unruhe stiften wollt – im Gegenteil. Aber die Leute haben es nicht gern, wenn jemand, der nicht schon mehrere Jahre an einem Ort lebt, ihnen sagen will, wie sie sich zu verhalten haben. Das gilt nicht nur für Trier, sondern ist überall so. Ich meine das nur im Guten!«
Der Weihbischof hielt einen Augenblick inne, ganz so, als ob er sich nicht sicher sei, was er als Nächstes sagen sollte.
»Im Übrigen«, fuhr er dann fort, »von Eurer Lehrtätigkeit wird nur Gutes berichtet, auch wenn ich nicht damit einig gehe, dass die Hexerei weniger verderblich sei als die lutherische Irrlehre. Ich würde beide auf eine Stufe stellen. Das zeigen die Gerichtsakten der laufenden Prozesse in aller Deutlichkeit. Ihr könnt mir glauben, oft muss ich mich zwingen, diese Ungeheuerlichkeiten in meinen Kopf zu lassen!
Durch unsere eigene Laschheit – und ich meine da durchaus auch die Kirche – wurde dem Satan Tür und Tor geöffnet. An die einhundert Jahre hat sich die Dämonologie kaum einen Schritt weiterbewegt, wir stehen faktisch immer noch auf dem Stand der Erkenntnisse und der Methoden des
›Hexenhammers‹. Es geht längst nicht mehr um versponnene theologische Spitzfindigkeiten«, Binsfeld drehte die Augen nach oben und zeichnete mit dem Zeigefinger zwei Kreise über seinem Kopf in die Luft, »sondern inzwischen um das nackte Überleben. Die Zauberer sind Vaterlandsverräter, sie richten sich gegen das Volk als Ganzes, indem sie versuchen, ihm die materielle Lebensgrundlage zu entziehen! Wie der Fürst der Finsternis, so meiden auch seine Anhänger das Licht, daher geschieht alles heimlich des Nachts. Sie rauschen dann wie die Nachtvögel, um ihre Zauberei zu verrichten. Um zu ihren Tanzplätzen zu kommen, ist ihnen jedes Mittel recht, auch die arglistige Täuschung ihres Ehegatten. Denn welcher Mann, selbst wenn seine Frau Tag und Nacht bei ihm ist, wird wirklich bezeugen können, dass sie tatsächlich die ganze Nacht sein Lager geteilt hat und unschuldig ist? Umgekehrt – welche Frau kann ihren Mann reinen Gewissens von diesem Laster freisprechen?«
»Aber der Canon episcopi!«, wagte Loos einzuwerfen. »Er sagt eindeutig, dass nächtliche Flüge nichts als Traumbilder seien, und wer anderes glaube, der versündige sich schwer!«
»Der alte Canon und die Flüge mit der Göttin Herodia, Diana, Richella oder wie sie sonst noch heißen mag…«, Binsfelds Stimme wurde nicht viel, aber doch um eine Spur schärfer, »… der Canon ist durch die Wirklichkeit längst widerlegt!«
»Beim Kloster Sankt Matthias habe ich den Torso einer Statue aus weißem Marmor gesehen, von deren ursprünglicher Form man allerdings nicht mehr viel erkennen kann, da die Leute sie mit Steinen bewerfen. Alle sagen aber, es handle sich um ein Abbild der Göttin Diana. Auf einer Steintafel darunter steht…« Loos musste einen Moment überlegen.
» Wollt ihr wissen, was ich bin,
ich bin gewest ein Abgöttin!
Da Sankt Eucharius zu Trier kam,
er mich zerbrach, mein’ Ehr’ abnahm.
Ich war geehret als ein Gott,
jetzt steh’ ich hier, der Welt zum Spott!«
In den Augen des Weihbischofs blitzte leichte Verärgerung auf.
»Die Leute sagen, die Figur, also die Göttin, habe noch die Ankunft des heiligen Eucharius vorhergesagt und sei dann verstummt. Also müssen die alten Götter existiert haben. Auch wenn Eucharius ihr wirklich den Kopf abgehauen hat, dürfte das nicht viel bewirkt haben, da es sich ja um ein eigentlich geistiges Wesen handelte. Die Leute sind hin- und hergerissen
– da die Göttin Diana mit ihrem Nachtheer, das im Canon scharf als Hirngespinst verurteilt wird, und hier die verderbenden Zauberer, die das plötzlich doch können…«
»Ihr wollt doch wohl nicht ernstlich Schadenszauber und Hexerei in Abrede stellen?«, unterbrach ihn nun Binsfeld scharf.
»Nein – um Gottes willen, nein«, beeilte sich Loos zu
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