Die Lichtfaenger
grub er sich ein. Bin ich der Einzige, der es so sieht? Vielleicht ist es aber doch so!, gab er sich widerstrebend die Antwort. Da werden möglicherweise Unschuldige verfolgt, vor Gericht gezerrt, gefoltert und hingerichtet, nicht weil sie ein Verbrechen begangen haben, sondern weil es um eine Demonstration und die
Manifestierung von Macht geht! Wenn sein Verdacht stimmte, war er jetzt besser auf der Hut, jedes unüberlegte Wort konnte gefährlich werden.
»… sein Vorgänger, Abt Matthias von Saarburg, wurde von Hexen umgebracht! Es ist daher gewiss auch Selbstschutz und verständlich, wenn Abt Biewer nicht zuwarten will, bis er der Nächste ist!«
Loos hob den Blick und sah die Aufregung in Ellentz’
Gesicht.
»Ich bin schon einer ganzen Reihe von Gefangenen als Beichtvater beigestanden und so gut wie alle haben zugegeben, die gegen sie erhobenen Anschuldigungen würden der Wahrheit entsprechen. Das ist es, was mich bestärkt, die Menschen von der Kanzel aus aufzurütteln!« Ellentz’ Stimme senkte sich zu einem Flüstern ab, obwohl niemand außer ihnen beiden im Raum war. »Abt Biewer hat die Hexenausschüsse legitimiert, und sie arbeiten gut und effizient. Aus dem ganzen Land werden Beschuldigungen gemeldet und mir ist zu Ohren gekommen, in den nächsten Wochen würden im Sankt
Maximiner Territorium eine Reihe von Festnahmen anstehen!«
»Wie gehen denn diese Hexenausschüsse vor?«
»Dazu könnte Euch Bruder Macherentius mehr erzählen, da er sie stark befürwortet.« Pater Lukas hob bedauernd die Schultern. »Na ja«, fuhr er mit normaler Lautstärke fort, »es sind einfache Bürger und Bauern, die sich zu einem Bündnis zusammengetan haben, so ähnlich…«, er suchte nach einem passenden Wort, »… so ähnlich wie die Bürgerwehren. Sie durchkämmen die Dörfer und Weiler, halten Augen und Ohren offen und gehen Verdächtigungen nach!«
»Ich nehme an, ausschließlich Männer?«
»Ja sicher!«
»Aber so ein Ausschuss wäre ja die perfekte Tarnung für einen Zauberer. Er tritt einfach einer solchen Vereinigung bei, ist damit selbst vor Verdächtigungen und Nachstellungen sicher und kann ohne Angst vor Entdeckung seinen Lastern nachgehen.«
»Nein, nein«, wehrte Ellentz beinahe erschrocken ab, »jeder, der einem Ausschuss beitritt, erklärt sich ausdrücklich damit einverstanden, dass gegen ihn selbst eine Untersuchung eingeleitet werden kann. Und das ist nicht alles: Jedes Mitglied des Ausschusses und der Gemeinde muss für die Angehörigen seiner Familie die Verpflichtung eingehen, im Fall einer Verhaftung alle Prozesskosten zu tragen, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens!«
»Das ist gegen das Gesetz! Das Gesetzbuch, die Carolina, schreibt vor, dass nur schuldig Gesprochene für die Kosten aufkommen müssen!«
Der Domprediger zuckte die Schultern.
Irgendwann kamen sie auf das unnatürlich nasskalte Wetter zu sprechen, dass der Rat nun schon Brot und Erbsen an die Bedürftigsten verteilen ließe und die Armenfürsorge zu einem immer drängenderen Problem würde, an dem auch die von Doktor Flade aus eigener Tasche gestifteten dreihundert Taler nicht viel ändern könnten. Überhaupt – der Doktor Flade, der ja sein Beichtkind sei, wie Ellentz mit nicht wenig Stolz vermerkte, der sei ein wahrer Wohltäter. Er und der ehemalige Bürgermeister Hans Kesten würden in diesen schweren Zeiten großzügig Kredite vergeben oder Geld gegen Pfand
vorstrecken, aber das sei natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Cornelius Loos war schon im Begriff, sich zu verabschieden, als ihm noch etwas einfiel. »Der Hexenbube«, sagte er dann,
»ist er noch in Eurer Obhut?«
»Welchen meint Ihr?«
Loos sah ihn überrascht an. »Wieso? Gibt es mehrere?«
»Ja. Man hat uns soeben wieder zwei überstellt!« Ellentz’
Stimme bekam wieder diesen gehetzten, flackernden Ton. »Es ist furchtbar. Inzwischen macht Satan selbst vor Kindern nicht mehr Halt!«
Bevor er zu einem weiteren Monolog ansetzen konnte, unterbrach ihn Loos freundlich. »Verzeiht bitte! Ich würde gern so einen Buben sehen. Wäre das möglich?«
Der Domprediger sah ihn an, als ob er verlangt hätte, den Teufel höchstpersönlich herzuschaffen.
»Ich weiß«, lächelte Loos einnehmend, »die Neugier ist ein Laster!«
»Das meine ich nicht. Aber es ist nicht ganz ungefährlich.
Tragt Ihr denn ein Agnus Dei?«
Das Agnus Dei war ein von den Jesuiten verbreitetes wächsernes Amulett, das angeblich zuverlässig vor Verzauberungen
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