Die Lichtfaenger
Mädchen sah ihn an aus Augen, die erheblich älter waren als es selbst. »Der Vater hat es befohlen. Er sagt, er kann das Geplärre nicht mehr ertragen!«
»Und warum schreit das Kind?« Noch während er die Frage aussprach, schämte er sich für seine Gedankenlosigkeit und seine Blindheit.
»Hunger«, sagte das Kind, »die Brüste der Mutter sind leer, sie hat keine Milch mehr!«
»Wie heißt du denn?«
»Maria«, kam es scheu zurück.
»Und wie weiter?«
Sie zögerte, anscheinend wusste sie ihren Nachnamen nicht.
»Pfeiler«, antwortete statt ihrer ein Bub, »aber alle sagen Schuster.«
»Weil ihr Vater Schuster ist!«, ergänzte ein anderer altklug.
»Sag deiner Mutter, sie soll sich noch heute beim Pfarrer melden!«
Loos änderte die Richtung, um den Pfarrer aufzusuchen, der für die Ausstellung der Zuteilungsscheine zuständig war, und ihn zu ersuchen, für die Schustersfrau eine etwas großzügigere Brotration zu empfehlen.
Kaum hatte er sich ein paar Schritte von den Kindern entfernt, blieb er unvermittelt stehen und tippte sich kurz mit den Fingerspitzen an die Stirn. Genau das war es… die Hexenbuben hatten sich als solche bezichtigt, nicht nur, um sich wichtig zu machen, sondern wahrscheinlich auch, um dem Hunger zu entkommen.
Die Bevölkerung wurde zunehmend aufsässiger und die Studenten der theologischen Fakultät zogen durch die Straßen und Gassen und erzählten mit jedem Tag neue
Schauergeschichten, die sie von den Hexenbuben erfahren haben wollten und die von den Menschen begierig aufgesogen, weiter aufgebauscht und bis in winzigste Kleinigkeiten ausgemalt wurden. Eine vom Stadtrat angeordnete
Bittprozession brachte keine Wetteränderung, ebenso wenig wie die Verbrennung einer Frau aufgrund der Aussagen des Trommlerbuben. An der Universität erfuhr Loos von einem der jesuitischen Professoren, dass der zuständige Ordensgeneral Aquaviva in Mainz wegen der geschwätzigen Denunziationen des Trommlers sehr ungehalten war und dessen sofortige Entfernung aus dem Kloster angeordnet hatte. Wie es der Domprediger Ellentz vorausgesagt hatte, füllten in Sankt Maximin in kurzer Zeit vermutliche Zauberer – Männlein und Weiblein – die Verliese bis auf den letzten Platz und viele von ihnen wurden nach ebenso kurzem Prozess hingerichtet. Nicht nur in der Stadt, sondern ebenso im Umland wucherten weitum die Gerüchte wie Unkraut, bei der Teufelssekte handle es sich um einen Zusammenschluss reicher Trierer Bürger, die den Schadenszauber verursachten, um die Ernten zu verhindern und dann durch den Verkauf ihrer Vorräte ihre Taschen zu füllen. Besonders Doktor Flade war inzwischen ins Gerede gekommen, hatte er doch nicht nur Kredite und Pfandleihen vergeben, sondern in großen Mengen ganze Kornernten aufgekauft, die er nun versilberte. Zudem machte der ältere der beiden Hexenbuben nach mehrmaligem Nachfragen vage Andeutungen, den Schultheiß auf dem Sabbat gesehen zu haben. Ja, die Statur könnte stimmen und auch der Gang…
Wie man hörte, traute sich der Flade kaum mehr auf die Straße, da die Leute allen Respekt vor ihm verloren hatten.
Nicht wenige, die ihn früher unterwürfig gegrüßt hätten, zeigten nun immer unverhohlener ihre Verachtung,
Jugendliche pöbelten ihn an und Kinder liefen vor ihm her, drehten lange Nasen und streckten die Zunge heraus.
Vereinzelt wurde über den zweimaligen Bürgermeister Hans Kesten gemunkelt und über Hans Reuland, der vor Jahren ebenfalls Bürgermeister gewesen war. Loos erfuhr, wenn auch erst nach einigem Fragen, dass die beiden bei der Unterwerfung der Stadt unter die kurtrierische Herrschaft maßgeblich ihre Finger mit im Spiel gehabt hatten und nun zu denen zählten, die von den horrenden Kornpreisen profitierten.
Von der Mosel herauf zog dichter Nebel durch die Straßen, dicker als manche Milchsuppe in den halbleeren Tellern.
Cornelius Loos fröstelte und zog sich seinen Mantel fest um die Schultern. Er hatte an einem der Seitenaltäre des Domes eine heilige Messe gelesen und schritt nun über den Marktplatz hinunter zum Simeonsstift. In der Sakristei war ein Brief an ihn hinterlegt gewesen, in dem der Weihbischof bat, ihn nach Möglichkeit noch im Lauf des Tages aufzusuchen. Grund war keiner angegeben, das Schreiben in freundlichem Ton gehalten, was aber nicht unbedingt etwas zu bedeuten hatte. So gut kannte er Binsfeld mittlerweile und er überlegte, was wohl so dringend sein mochte.
Seine Exzellenz empfing ihn
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