Die Lichtfaenger
Pritsche. In seinen
Mundwinkeln hatte sich weißer Speichel gesammelt, seine Stimme klang nun leise, heiser und gefährlich. »Loos, nehmt Euch in Acht! Nehmt Euch nur in Acht! Wir werden Mittel und Wege finden…«
Der letzte Satz blieb in der Luft hängen, schwebend wie eine giftige Wolke.
Loos starrte auf den breiten Rücken, als Binsfeld wütenden Schrittes die Zelle verließ und die Tür krachend hinter sich zuwarf. Trotz allem war er erleichtert, denn insgeheim hatte er darauf gewartet, dass Binsfeld versuchen würde, ihn in die Nähe Weyers zu drängen. Er ließ sich auf den noch warmen Stuhl nieder und stützte den Kopf in beide Hände. Nach kurzem Nachdenken kam er zu dem Schluss, dass das schon noch kommen würde. Binsfeld wusste, dass er ihm, Loos, nicht gewachsen war, und würde dennoch alles daransetzen, ihn loszuwerden, ob tot oder lebendig. Schließlich blieb ihm gar nichts anderes übrig, wollte er sich nicht zum Gespött machen lassen. Der Weihbischof musste Recht behalten – um jeden Preis.
Der 25. März 1593 war ein kalter, regnerischer Tag. Schon seit längerer Zeit war niemand mehr bei Loos gewesen, der versucht hätte, ihn umzustimmen. Beinahe ein Jahr war es nun, dass sie ihn hinter Schloss und Riegel hielten, offensichtlich hatten sie doch einige Mühe damit, den Fall möglichst geräuschlos zu erledigen. Als sich auf dem Gang Schritte näherten und Loos kurz darauf in die ernsten Gesichter der beiden Benediktiner blickte, wusste er instinktiv, dass heute der Tag gekommen war. Der Tag, an dem sich Vernunft und Wahnsinn gegenüberstehen würden, Glaube gegen
Aberglauben.
»Licht gegen Finsternis!«, murmelte Loos.
»Was meint Ihr?«, fragte einer der Mönche.
»Nichts!«
Im prächtigen Arbeitszimmer des Abtes zu Sankt Maximin waren sie versammelt: der Abt Reiner Biewer, der Offizial Bartholomäus Bodeghemius, der Weihbischof und
Generalvikar Peter Binsfeld, die beiden Kommissare – der Jurist Dr. Johann Collmann und der Theologe und Dekan von Sankt Simeon, Dr. Georg Helffenstein –, Nicolaus Dolert und Daniel Major als Zeugen sowie der Notar Adam Tectonius.
Um Binsfelds Lippen spielte für den flüchtigen Augenblick eines Wimpernschlags ein überlegenes Lächeln, dann hatte er sich wieder in der Gewalt und zeigte sein ausdrucksloses Gesicht.
»Cornelius Loosius Callidus – oder soll ich Finius Callidus sagen? Ihr wisst, weswegen Ihr vor diesem Tribunal steht!
Wir…«, er machte eine schweifende Handbewegung hinüber zu den Versammelten und seine Stimme wechselte in den Loos so verhassten jovialen Tonfall, »wir haben es uns nicht leicht gemacht, das seht Ihr schon daran, wie viel Zeit seit Eurer Inhaftierung verstrichen ist. Wir haben alles gewissenhaft gegeneinander abgewogen, haben Eure Häme und Euren Spott beiseite gelassen, nur die reinen Aussagen bewertet und sind zu dem einmütigen Entschluss gekommen, dass Eure Schrift betrügerisch, unverschämt und insgesamt verwerflich ist. Seid versichert, es geht nicht um die Beleidigungen gegen meine armselige Person, obwohl die Angriffe gegen mich
offensichtlich sind. Wie es scheint, habt Ihr zu viel Weyer gelesen, der scheint Euch das Gehirn gehörig vernebelt zu haben!«
»Ich…«, wollte Loos scharf erwidern, wurde aber von Abt Biewer mit schneidender Stimme unterbrochen. »Haltet den Mund!«
Nun hatten sie sich verraten. Dieses Tribunal war nicht zusammengekommen, um ihm die Möglichkeit zur
Rechtfertigung zu geben, sondern um ihn zu beugen, wenn nicht gar zu brechen.
Binsfeld nickte dankbar und fuhr fort: »Im Vorwort schon beklagt Ihr das Erscheinen des ›Hexenhammers‹ und tadelt die Obrigkeit. Das könnte genauso von Weyer stammen!« Er trat zum Arbeitstisch des Abtes und hob einen Packen
beschriebener und zusammengehefteter Blätter empor. »Ist das Eure Handschrift?«
So dumm waren sie sicher nicht, dass sie seine Schrift nicht verglichen hätten. Aber es war gar nicht seine, lediglich der Index sowie einige Änderungen im Text stammten aus seiner Feder. Loos überlegte einen Moment, kam aber zu dem Schluss, ihnen keinen Anlass zu geben, ihm Taktieren vorwerfen zu können.
»Nein«, erwiderte er wahrheitsgemäß, »das ist die Handschrift eines bezahlten Schreibers, nur die Anmerkungen sind von mir. Sie sind leicht an der etwas blasseren Tinte zu erkennen!«
»Wir haben das in Eurer Stube gefunden. Das war nicht besonders schlau. Existiert eine weitere Abschrift?«, wollte Collmann misstrauisch
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