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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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erzielt. Doch dazu musste man die richtigen Leute kennen und Cohn hatte das, was in diesem Beruf unabdingbar war, nämlich weitreichende Beziehungen. In seinen Laden verirrten sich jedoch nicht allzu viele Leute, seine Abnehmer waren hauptsächlich Universitäten, Bibliotheken und eine Hand voll Sammler.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er nach geraumer Weile und versuchte erst gar nicht, seinen Ärger über die Störung zu verbergen.
    »Ich bin George Lincoln Burr!«
    Cohn wäre fast das Buch entglitten. Er fuhr in die Höhe und starrte seinen Kunden ungläubig an. »Burr? Der Bibliothekar von Cornell? Aus Amerika?«
    »Ja, genau der!«, gab dieser freundlich zurück.
    »Was machen Sie hier in Europa?«
    »Studieren und Bücher jagen«, grinste Burr spitzbübisch,
    »und nebenher soll ich noch meinen Doktortitel mit einer Dissertation über den Flade-Prozess machen! Aber da habe ich ein kleines Problem – vielleicht können Sie mir weiterhelfen?«
    »Es lag nicht an mir«, antwortete Albert Cohn ein wenig verlegen, »die Nachforschungen waren alles andere als einfach.«
    »Das kann ich mir lebhaft vorstellen!«
    Noch von Cornell aus hatte Burr den Buchhändler
    angeschrieben mit der Bitte, nach den fehlenden Teilen der Flade-Akten zu suchen, hatte aber nie mehr etwas von ihm gehört, außer dass es eine vage Spur über ihre Herkunft gebe, der Cohn nachzugehen versuche.
    »Die Akten, die Sie erhalten haben, stammen aus dem Nachlass eines Kölner Privatsammlers, die von einer Erbengemeinschaft verkauft wurden. Ich erwarb sie nicht direkt von den Nachkommen, sondern erhielt sie über verschlungene Wege. Über die fehlenden Teile habe ich leider nichts herausbekommen, aber erst vor ein paar Tagen…« Cohn brach mitten im Satz ab, schritt zu einem der bis zur Decke reichenden Regale und zog mit gezieltem Griff eine dünne, graubraune Pappmappe heraus. »Da, sehen Sie selbst!«
    »Was ist das?«
    »Der Katalog des Buchhändlers Lempertz in Köln. Beachten Sie das Jahr!«
    1874 stand da.
    Burr sah Cohn fragend an, der sich keine Mühe gab, seinen Stolz über die Entdeckung zu verbergen. »Ja, Lempertz bot bereits 1874 die Akten in seinem Katalog zum Verkauf an, die dann offensichtlich von dem erwähnten Privatsammler erworben wurden!«
    »Und woher hatte dieser Lempertz sie?«
    Cohn zuckte nur mit den Schultern.

    7

    Obwohl die Sonne aus einem wolkenlosen Sommerhimmel schien, fröstelte Michael Stappert. Er hörte nicht das Zwitschern der Vögel in den Bäumen, bemerkte nicht, wie der warme Wind wogend durch die sattgrünen Felder des Sauerlands strich und ihm seine langen, dunklen Haare ins Gesicht fächelte. Hinter ihm verwehte das heisere Schreien, Johlen und ekstatische Aufheulen der Menschenmenge und er beschleunigte unwillkürlich seinen Schritt. Nichts wie weg hier, möglichst weit fort! Das erste Mal hatte er bewusst in ihre Gesichter gesehen, hatte ihre Empfindungen gespürt, diesen Hass, diese Wut und die Mischung aus Befriedigung und verstörter Angst. Was, wenn Catharina Schutes die Wahrheit gesagt hatte? Wenn sie wirklich unschuldig war? Was war dann mit all den anderen? Was, wenn das alles nur ein furchtbarer Irrtum war? Hatte er sich mitschuldig gemacht?
    Vor Gottes Angesicht wollte sie ihn verklagen! Wenn er nicht Pastor geworden wäre und von der Kanzel herab die Ausrottung der Hexen gefordert hätte, wäre ihr dieser Gang erspart geblieben und in Hirschberg nicht so viel unschuldiges Blut vergossen worden! Das hatte sie ihm vom Karren herab zugekrächzt, als er sie hinaus zum Richtplatz begleitet hatte. Er war zwar nur ein einfacher Landpfarrer, wusste nicht viel von Juristerei und großer Wissenschaft, aber was ihm die Schutes ins Gesicht geschleudert hatte, in ihrer Verzweiflung und Todesnot, der Leib zerschlagen, der Geist noch nicht völlig gebrochen… nein, um das zu verstehen brauchte man kein Gelehrter zu sein. Vielleicht war es sogar die Gelehrsamkeit, die den Blick trübte, weil man die Welt vom Kopf her zu erklären versuchte und dabei vergaß, dass der Mensch auch eine Seele hatte. War es nicht so, dass der Rat eines ungebildeten Bauern oftmals besser und vernünftiger war als der so manchen eitlen Akademikers, der, auf seinen Doktortitel pochend, behauptete, nur er habe die nötige Einsicht und die entsprechende Befugnis? Oder wie hatte es Jesus Sirach schon zweihundert Jahre vor der Geburt des Herrn ausgedrückt?
    »Viel bessere Auskunft gibt dem Menschen das Gewissen als sieben

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