Die Lichtfaenger
Wächter auf dem hohen Turm.«
Angelogen habe sie ihn bei seinen Besuchen in der Zelle, wenn er sie eindringlich ermahnte, bei der Wahrheit zu bleiben, um nicht ihr Seelenheil zu verspielen. Er sei es gewesen, der eigene Pfarrer, der sie so weit gebracht habe, der ihr erst vollends das Gefühl gegeben habe, von allen verlassen zu sein. Wenn sie ihm die Wahrheit gesagt hätte, hätte er sie aufgefordert, sie vor Gericht zu wiederholen, worauf sie wieder so lange gefoltert worden wäre, bis sie ihre Aussage zurückgenommen hätte. Auch das hatte sie herausgekeucht und dass es schandbar sei, wenn sich ein Geistlicher wie er zum Handlanger solcher Blutschlecker wie des Doktor Schultheiß oder des Kommissars Höxer mache. Hatte er nicht noch am Sonntag eine scharfe Predigt gegen das Hexenwesen gehalten und gefordert, diesem Treiben mit allen Mitteln ein Ende zu setzen? Und hatte nicht Heinrich Schultheiß, ein wahrlich frommer Mann, ihn in seinem Tun stets bestärkt?
»Stapirius«, hatte der Hexenrichter mehr als einmal geradezu begeistert zu ihm gesagt, »Ihr seid ein Mann mit dem Herzen am rechten Fleck! Ihr nennt die Dinge beim Namen, anstatt um den heißen Brei herumzureden! Eure Predigt – alle Hochachtung! Wir werden mit diesem Gesindel aufräumen, und zwar radikal!«
Stappert hatte sich geschmeichelt gefühlt, von einem so gelehrten Herrn gelobt zu werden, der bei den Jesuiten zur Schule gegangen war, der in Köln und Würzburg die Juristerei studiert und sich dort gründlich mit dem Hexereiwesen auseinander gesetzt hatte. Der Doktor hatte ihm ausdrücklich versichert, es sei unmöglich, eine unschuldig angeklagte Hexe hinzurichten, da Gott dies nicht zulassen würde. Das habe schon Binsfeld geschrieben!
Nun aber nagten die Zweifel an ihm und je näher er dem auf einer Anhöhe gelegenen Hirschberg kam, desto stärker und bohrender wurden sie. Er versuchte den Gedanken an eine eigene Schuld aus dem Kopf zu drängen, aber der hatte sich in sein Gehirn verkrallt, drückte wie ein tonnenschwerer Stein auf seine Brust und nahm ihm beinahe den Atem. Wieso musste es ausgerechnet ihn auf die Pfarrstelle nach Hirschberg verschlagen?
Friedlich lag das Städtchen da, nur ein paar Hühner scharrten auf einem Misthaufen und aus einem Stall kam das satte Grunzen eines Schweines. Auf einer Bank neben dem Stadttor saß die alte, halb blinde und fast taube Greth, alle anderen waren draußen bei der Hinrichtung. Schon um nicht ins Gerede zu kommen, hatte es niemand gewagt, ihr fern zu bleiben. Die alte Greth war eine von den Frauen, aus der er nicht ganz schlau wurde. Meistens erweckte sie den Eindruck, nicht mehr ganz richtig im Kopf zu sein, hatte aber zwischendurch lichte Momente.
»Gelobt sei Jesus Christus, Greth!«, sagte Stappert so freundlich, wie es ihm sein Gemütszustand erlaubte.
»In Ewigkeit, Amen!«, kam es mit alterszittriger Stimme aus zahnlosem Mund. »Na, Herr Pastor, brennt sie gut, die Schutes?«
»Du sollst dich darüber nicht lustig machen! Bete lieber für sie!«, fuhr er sie unwirsch an.
»Das Beten hat ihr auch nichts geholfen und sie hat den Herrgott bestimmt viel heftiger angefleht, als ich es kann. Da ist selbst Gott machtlos, wenn seine Diener hier auf Erden anderer Meinung sind als er!«
»Wie meinst du das?«
»Wie ich es sage! Die Schutes war eine fromme und gottesfürchtige Frau. Ihr Verhängnis war, dass sie zu nahe am Kirchplatz wohnte!«
»Was soll das wieder heißen?«
»Ist es Euch noch nicht aufgefallen? Man sagt, schon der Doktor Schultheiß hatte ein besonderes Interesse an den Leuten vom Kirchplatz! Dort ist wohl ein richtiges Hexennest!«
In Stappert fuhr es wie ein Blitz, den Spott hörte er nicht mehr. Wo hatte er nur die ganze Zeit über seine Sinne gehabt?
War er mit seinen achtundzwanzig Jahren schon blinder, tauber und seniler als die alte Greth?
Die Alte schwieg nun, ihr grauer Kopf pendelte auf ihrem dürren Hals hin und her, her und hin, die stumpfen Augen waren auf Stappert gerichtet, nahmen ihn aber nicht mehr wahr. Sie schien wieder in einer anderen Welt zu sein.
Kaum hatte sich der Pastor ein paar Schritte von ihr entfernt, schickte sie ihm ein meckerndes Lachen hinterher. »Ja, ja, um den Kirchplatz lebt es sich gefährlich!«
Kurz wandte er sich um, aber die Alte starrte teilnahmslos und leer vor sich hin.
Wie war das damals mit der Winter gewesen? Stappert hatte ihr keinen Glauben geschenkt, als sie ihm unter Tränen gebeichtet hatte, das Geständnis sei
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