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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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abzuschätzen.
    So war es auch bei einem Antiquariatsverzeichnis gewesen, das White von dem Berliner Buchhändler Albert Cohn erhalten hatte. Die beiden hatten sich in Berlin kennen gelernt und White hatte Cohn ersucht, ihn regelmäßig über neu eingegangene Schriftstücke auf dem Laufenden zu halten. In einer dieser Auflistungen tauchte dann ein etwas ominös erscheinendes Dokument auf, das sich nirgendwo eindeutig zuordnen ließ. In der Beschreibung stand nur etwas von Gerichtsakten eines Hexenprozesses im Trierer Raum, dabei ein unleserlicher Name, der aus fünf, vielleicht auch sechs Buchstaben bestand. Angemerkt war noch eine Jahreszahl, 1589, mit der aber niemand etwas anzufangen wusste – außer Burr. Und der ließ sich seine Aufregung nicht anmerken, da er White gut genug kannte, um zu wissen, dass dieser nur auf einen Verdacht hin keinen müden Cent herausrücken würde.
    Eine innere Stimme flüsterte drängend, er sei einer wichtigen Sache auf der Spur, warnte ihn andererseits, ja nichts zu überstürzen. Kurz ging ihm durch den Kopf, das Dokument von seinem bescheidenen Salär zu erwerben, aber es hätte ihn das Gehalt eines halben Jahres gekostet. George Lincoln kam sich vor wie ein Jagdhund, der den Geruch der Beute in der Nase hatte, aber von seinem Herrn zurückgehalten wurde.
    Wenn er Recht hatte – und er hatte Recht, da war er sich ganz sicher –, wäre der Kauf dieser Akten ein Glücksfall und eine unermessliche Bereicherung für die Sammlung über das Hexereiwesen. Sie würden dem Ansehen der historischen Abteilung der Corneller Universität einen gewaltigen Schub geben.
    Betont gelassen trat George Lincoln mit der Liste ans Fenster und wendete sie hin und her. Er sprach kein Wort, setzte zunächst eine zweifelnde Miene auf, und tat schließlich so, als sei er sich ganz sicher. Er spürte, wie ihn White beobachtete, schwieg jedoch beharrlich – so lange, bis sein Mentor es nicht mehr aushielt.
    »Was haben Sie denn?«
    Burr machte ein paar Mal nur »Hm, hm«, hob dann langsam den Blick und sah White fest in die Augen. »Wir sind dabei, einen Schatz zu heben, aber wir müssen dabei ein kleines Risiko eingehen.« Er hatte immer noch Mühe, seine Erregung zu unterdrücken. »Das hier«, er machte ein paar kurze Schritte hinüber zum Tisch, wo er das Papier ablegte, »das hier, was ist das Ihrer Meinung nach für ein Buchstabe?«
    White beugte sich über die Liste. »Ein A?«, meinte er nach einer Weile unsicher.
    »Könnte es auch ein F sein?«
    »Ja, könnte schon sein.«
    »Und das hier, dieses zweite, lange, hoch stehende Zeichen?«
    »Ein l oder ein t. Es ist etwas verwischt.«
    »Können wir uns auf F und 1 einigen?«
    »Versuchen wir es mal!«, erwiderte White, der keinen blassen Schimmer hatte, worauf Burr hinauswollte.
    »At oder Al ergibt keinen Sinn, F und 1 sehr wohl – wenn man es mit der Jahreszahl kombiniert. Den dritten Buchstaben könnte man als a deuten, den vierten als d und den fünften als i oder e. Dieser Schnörkel hier ist wahrscheinlich nur ein Ausrutscher, der zufällig wie ein s aussieht. Wir hätten dann Fladi oder Flade. Hier haben wir 1589 stehen, hier Raum Trier.
    In diesem Jahr wurde der Schultheiß Dietrich Flade nach einem weit über Trier hinaus Aufsehen erregenden Prozess als Hexer hingerichtet!« George Lincoln war es nun unmöglich, noch länger an sich zu halten. »Wissen Sie, hinter was wir her sind?«, entfuhr es ihm.
    »Langsam, langsam. Es geht um eine nicht ganz
    unbeträchtliche Summe…«
    »… die aber in keinem Verhältnis zum Wert steht!«, fiel der sonst immer so höfliche Burr seinem Gegenüber ins Wort.
    White schlug vor, Albert Cohn anzuschreiben, worauf Burr entgegnete, ein Brief wäre viel zu lange unterwegs, womöglich würden die Akten unterdessen verkauft. In seiner Stimme schwang ein beinahe verzweifelter Unterton, als er vorschlug, ein Telegramm zu schicken.
    »Ein Telegramm? Ist Ihnen klar, was das über den Atlantik kostet?«, entgegnete White beinahe erschrocken. »Um die zwanzig Dollar! Nicht pro Telegramm, sondern für jedes einzelne Wort! Und dann muss Cohn zurücktelegrafieren, wenn er das überhaupt macht!«
    George Lincoln verbrachte zwei schlaflose Nächte, bevor White endlich einwilligte, die Dokumente in Berlin zu bestellen. Ein paar Wochen später nahmen sie in Whites Arbeitszimmer ein in dickes, braunes Papier eingeschlagenes Paket in Empfang. Burr öffnete es und kurz darauf entfuhr ihm ein triumphierender Aufschrei. Es

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