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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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handelte sich tatsächlich um die lange Zeit verschollen geglaubten Prozessakten des Dietrich Flade! Allerdings waren sie, wie er enttäuscht feststellen musste, nicht vollständig.
    Nun also saß er dank White in Berlin, die beiden Briefe seines Mentors vor sich. Der erste war eine lange Liste von Vorschlägen, nach welchen Büchern George Lincoln Ausschau halten sollte, und der zweite ein sehr persönliches Schreiben, in dem sich White nach dem Fortschritt seiner Dissertation erkundigte. Seine Doktorarbeit! Eigentlich war er auf einen Doktortitel nicht sonderlich versessen, aber er kam wohl kaum darum herum, schließlich unterrichtete er schon seit geraumer Zeit an einer Universität, ohne einen akademischen Grad vorweisen zu können. Das durfte nicht so bleiben. Außerdem war Whites Angebot zu verlockend gewesen, als dass er es hätte ausschlagen können: Er solle in Europa weiterstudieren und in Leipzig seinen Doktor machen. White werde den Aufenthalt finanzieren, wenn Burr als Gegenleistung Augen und Ohren offen halte, um seltene Exemplare für die Bibliothek zu entdecken. George Lincoln war klar, dass man eine solche Chance nur einmal im Leben erhielt. Das größte Hindernis war Pee gewesen. Mit Tränen in den Augen hatte sie an seiner Schulter gelehnt und er hatte sich völlig hilflos gefühlt. Ihn war es ebenfalls hart angekommen, verdammt hart sogar. Aber er hätte es sich nie verziehen und auch Pee hätte das schlechte Gewissen geplagt, wenn er das Angebot ausgeschlagen hätte.
    Mit in die Hände gestütztem Kopf starrte er auf die noch ungeöffneten Briefe. Allein die Beantwortung der anfallenden Post war, soweit er es bisher überblickte, mit mindestens eineinhalb Tagen zu veranschlagen. Wie sollte er da mit seiner Dissertation vorankommen? Draußen in der Küche lärmten die beiden Buben, die immer wieder von ihrer Schwester Anne und der Mutter ermahnt wurden, etwas leiser zu sein.
    Neugierig und ein wenig verschüchtert waren sie anfangs dem fremden Mann begegnet, aber das hatte sich schnell gelegt.
    Nach einem energischen Machtwort von Frau Schmidtchen wurde es mit einem Mal ruhig, nur das Knarzen der steilen Treppe war noch zu hören, auf der sich Anne im Halbdunkel in ihren Verschlag oberhalb der Küche tastete.
    Mit einem leisen Seufzen zog George Lincoln die blakende Lampe zu sich her und drehte seine Aktentasche ins Licht.
    Schließlich holte er eine graue Mappe hervor, auf der in großen Buchstaben stand: »Dissertation über den Prozess gegen Dietrich Flade«. Als er sie aufschlug, seufzte er noch einmal. Zehn, vielleicht zwölf Blätter. Nein, sehr weit war er mit seiner Doktorarbeit bis jetzt noch nicht gekommen.

    Über Nacht war ein scharfer, kühler Wind aufgekommen, der tief hängende Regenwolken vor sich hertrieb. George Lincoln war es gerade recht und er machte sich daran, seine Korrespondenz aufzuarbeiten, was zwei volle Tage dauerte, an denen er sich regelrecht in seiner Kammer vergrub. Erst dann kam er dazu, sich um das zu kümmern, weswegen er eigentlich nach Berlin gekommen war.
    Das erste Mal sah er Lichterfelde im hellen Tageslicht.
    Welch ein Kontrast! Hier die großen vornehmen Häuser der Villensiedlung, die ihren Reichtum beinahe höhnisch zur Schau stellten, und dahinter grau und trostlos die an ebenso grauen Straßen zu Spalieren aufgereihten hässlichen Behausungen! Zwei Welten, so nahe beieinander und sich doch so fremd. Je näher er der Stadt zu kam, desto öfter blieb er an einer Kreuzung stehen, um den Zettel hervorzuholen, auf dem er Annes Wegbeschreibung notiert hatte, und fand ohne sich auch nur einmal zu verlaufen Cohns Buchhandlung.
    Albert Cohn sah beinahe unwillig auf, als Burr eintrat. Er war gerade damit beschäftigt, eine neu eingegangene Lieferung in Augenschein zu nehmen, was für ihn auch noch nach vielen Jahren als Buchhändler mit einem Nervenkitzel verbunden war. Manche gingen auf die Pferderennbahn, andere wetteten auf Hunde oder spielten mit hohen Einsätzen in der Lotterie, um sich dieses gewisse Kribbeln zu verschaffen. Er aber brauchte dies alles nicht, dazu hatte er seinen Beruf und seine antiquarischen Bücher. Jede frisch eintreffende Sendung erzeugte in ihm ein ungleich heftigeres Gefühl. Manches mit hohen Erwartungen erstandene Buch entpuppte sich als nicht den Bruchteil des Geldes wert, das er bezahlt hatte, dafür hatte er mit dem ein oder anderen unscheinbaren Dokument durch geschicktes Taktieren und Verhandeln einen immensen Erlös

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