Die Lichtfaenger
Michael Stappert auf die Kirche zu. Er musste zuerst mit sich ins Reine kommen.
Kommissar Doktor Höxer aus Werl, der nun in Hirschberg die Prozesse führte, ging noch härter vor als Schultheiß. Er war von gedrungener Gestalt, sein Haar war schütter und seine Stimme klang unangenehm schrill. Die Schöffen sagten, er sei während der Verhöre ungeduldig und aufbrausend, und ihm ging der Ruf voraus, dass bei ihm schneller gestanden werde als bei den meisten anderen Kommissaren. Das bestätigte auch Pater Fredericus aus Münster, der Stappert in dessen Studierzimmer gegenübersaß. Der Minorit war schon Beichtvater vieler Angeklagter gewesen und hatte sich vom glühenden Verfechter der Verfolgungen zu einem erbitterten Gegner gewandelt.
»Mein lieber Mitbruder«, es klang bedrückt, »wir leben in einer dunklen Zeit. Du musst vorsichtig vorgehen, auch wenn es schwer fällt. Wenn die Richter merken, dass du nicht auf ihrer Seite stehst, werden sie dich unverzüglich durch einen Beichtvater ersetzen, der den Verzweifelten jede Hoffnung nimmt, ihr Gewissen tyrannisiert, indem er mit der ewigen Verdammnis droht, wenn sie nicht bei ihrer belastenden Aussage blieben, oder der im gegenteiligen Fall von ihnen fordert, ihre Aussage vor Gericht zu widerrufen. Was das bedeutet, weißt du ja selbst!«
»Ja, erneute Folter!«, nickte Stappert.
»Kannst du dir ihre Gewissensqualen vorstellen? Entweder Lüge und Verlust des Seelenheils oder weitere Marter in dem Wissen, dass sie dich so lange foltern werden, bis du sagst, was sie hören wollen!«
»Ich weiß. Ich habe lange genug selbst zu denen gehört. Viel zu lange!«, gestand Stappert.
»Ich auch!«, antwortete der Minorit.
Beide schwiegen eine Zeit lang und hingen ihren Gedanken nach.
»Sie brauchen dich, mein lieber Michael! Sie brauchen Leute wie uns beide mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt, mehr als ihre Eltern, Geschwister oder Kinder! Wir können ihnen zwar nicht die körperlichen Schmerzen ersparen, aber wir können ihren geschundenen Seelen Trost und Halt geben!
Und wenn wir sie auch nicht vor dem Tod retten können, so können wir ihn zumindest leichter machen. Ich weiß, das klingt zynisch, doch so ist es!«
»Ich habe gerade begonnen, mich mit der Hexenliteratur zu beschäftigen. Den ›Hexenhammer‹ habe ich schon gelesen und bin nun beim Werk von Binsfeld!«, sagte Stappert in die wieder entstandene Stille.
»Und?«
»Ich weiß nicht, ob es Zauberer oder Hexen wirklich gibt.
Aber beide Bücher bestätigen meine Erfahrung, dass die Richter ohne Folter kaum ein einziges Geständnis bekommen würden!«
»Im Binsfeldius gibt es eine Stelle, an der er sich über einen Theologen beschwert, der sich über ihn lustig machte und seine Autorität zu untergraben versuchte!«
»Ja, ich entsinne mich!«
»Wenn du mehr darüber wissen willst und wie es solchen Leuten ergeht, solltest du dir noch ein anderes Buch besorgen.
Es ist von Martin Del Rio und heißt ›Disquisitionum magicarum de libri sex‹.«
»Del Rio? Hört sich nach einem Spanier an! Die hatten und haben doch keine oder kaum Verfolgungen?«, fragte Stappert ein wenig erstaunt.
»Ja, schon der ›Hexenhammer‹ war in Spanien auf
entschiedene Ablehnung gestoßen. Was Del Rio angeht: Seine Eltern waren vornehme kastilische Adelige im Dienst des Königs in den spanischen Niederlanden. Er studierte Philosophie, Rechtswissenschaften, war Rechtsberater Philipps II. Militärrichter und später Statthalter des Königs in Brabant.
Im Alter von fast dreißig Jahren trat er in den Jesuitenorden ein, unterrichtete später in Lüttich, Löwen, Graz und Salamanca. Im Vorwort zu seinem Buch legt er besonderen Wert auf die Feststellung, er sei als Jurist, Philosoph und Theologe für eine Auseinandersetzung über Magie und Hexerei geradezu prädestiniert. Pass auf – jetzt kommt es: Einerseits war er ein erbitterter Gegner jeden Aberglaubens, andererseits verteidigte er die Notwendigkeit der Ausrottung von Hexen und Zauberern. Hast du schon mal von Cornelius Loos gehört? Wahrscheinlich nicht, weil Binsfeld ihn kein einziges Mal namentlich erwähnt. Aber dieser Loos ist zweifelsfrei der Theologe, der sich mit ihm angelegt hat.
Binsfeld schreibt, er wolle dessen Namen nicht nennen, um seinem Ruf nicht zu schaden. Dieser Heuchler! Eigentlich wollten sie ihn totschweigen, aber Del Rio brauchte ihn als abschreckendes Beispiel dafür, wie es einem ergeht, der sich auf die Seite der Hexen und Magier
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