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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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betrübten Herzen? Dich will ich brauchen, wie ich will, nicht, wie du es willst. Ich will dich werfen in den Abgrund der Traurigkeit, ich will dich plagen ohne Unterlass, ich will dein Herz dermaßen pressen, dass du vergehst wie der Schaum auf dem Wasser und du sollst vor Herzeleid zerspringen. Wann ich dich trösten will – es steht bei mir!«
    Kaum hatte er ausgesprochen, presste er beide Hände an die Schläfen und sein Mund verzog sich zu einem schmalen Strich.
    Er begann leicht zu taumeln, fing sich aber gleich wieder.
    »Entschuldige, die Schmerzen kommen oft ohne Vorwarnung und ich habe dann das Gefühl, dass es mir den Kopf zerreißt!
    Aber sie sind lächerlich gegen das, was der Herr für uns erdulden musste!«
    »Und du glaubst, du bist in der Lage, hier Exerzitien abzuhalten?«
    Der Prior sah seinen Vetter unsicher an, doch der nickte energisch. »Die Schmerzen werden mich mein ganzes Leben lang begleiten – sagen die Ärzte. Die Schädeldecke war stellenweise zertrümmert, die Hirnhaut jedoch nicht verletzt.
    Meinen Verstand habe ich behalten, also soll ich ihn wohl auch weiterhin benutzen!«
    Arnold von Waldlois war sichtlich betroffen, aber Spee meinte nur, es sei eben der Wille des Schöpfers und es gebe viele Mitmenschen, deren Los viel härter und beklagenswerter sei als das seine.
    »Wie sieht es hier im Kloster aus? Stimmt es, was man so hört?«
    Der Prior nickte. »Ja, leider. Der größte Teil des Konvents ist durch und durch verweltlicht. Der Reichtum ist ihnen zu Kopf gestiegen, ihre hauptsächliche Beschäftigung besteht darin, sich um ihren Bauch zu kümmern!«
    Schmerzlich stieg die Erinnerung in Spee hoch. War es nicht paradox? Hatte er nicht im eigenen Orden die lasche Auslegung des Armutsgelübdes angemahnt und war dafür von Bavingh harsch gemaßregelt worden? Nun stand er hier bei den Benediktinern, die ihn genau deswegen hatten kommen lassen. Aber er empfand keinen Groll gegen seine
    Vorgesetzten, schließlich waren sie nur Werkzeuge im unermesslichen Willen des Schöpfers.
    Das Licht zwängte sich durch die Seitenfenster und zeichnete verhuschte Farbkleckse auf den steinernen Boden der Kirche.
    Friedrich Spee stand oben auf der Kanzel und versuchte, in den Mienen der Mönche zu lesen. Die meisten hielten den Kopf gesenkt, zwischen die Schultern gezogen, und mieden den Blickkontakt mit ihm. Das war nichts Neues. Er musste nicht nur ihre Köpfe, sondern besonders ihre Herzen erreichen.
    Hoch schwang sich seine Stimme empor, zuerst einsam, verlassen, dann fielen nach und nach zögerlich einige der Brüder mit ein.

    » O Heiland, reiß die Himmel auf,
    herab, herab vom Himmel lauf.
    Reiß ab vom Himmel Tür und Tor,
    reiß ab, wo Schloss und Riegel vor!«

    Es war ein Lied, das er vor einigen Jahren eigentlich als Adventslied geschrieben hatte, ein Lied, das alle kannten und inzwischen selbst die Lutheraner sangen. Mit Bedacht stimmte er die vierte Strophe an:

    » Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
    darauf sie all ihr Hoffnung stellt.
    O komm, ach komm vom höchsten Saal,
    komm tröst uns hier im Jammertal!«

    Er benutzte den Schluss als Überleitung zu einer Betrachtung der Zeitgeschehnisse.
    »Ja, Jammertal! Seit über zehn Jahren zieht der Krieg durch Deutschland, er verschlingt Mensch und Vieh, verroht und verdüstert die Herzen. Unsere Zeit ist wie ein dunkler Raum, finster und ohne Licht. Aber in diesem dunklen Raum liegt eine Kerze, wir müssen sie nur finden und anzünden. Wo aber ist diese Kerze, dieses Licht? Es ist in jedem Einzelnen von uns, es ist die Liebe!«
    Spee predigte über die Lieblosigkeit, sprach ihre geheimsten Gedanken aus, die so geheim waren, dass sie sie selbst kaum zu Ende zu denken wagten, sprach über fleischliche Versuchungen, ihre Intrigen untereinander, ihre Habgier, ihre Gleichgültigkeit, ihre Eitelkeit und ihren Aberglauben. Er schonte sie nicht. Sein Ton war bestimmt, doch nie belehrend oder aburteilend, und Spee spürte, dass seine Worte Wirkung zeigten. Ihm war bewusst, das er mit Zwang und Drohungen hier gar nichts erreichen konnte. Als er geendet hatte und fragte, wer für die Fortsetzung der Exerzitien sei, blieben nur vier Hände unten. Darunter die des feisten Pfortenbruders.
    Ein schwerer Sturm fegte über das Land, drängte wie ein wütendes Heer an die Klostermauern, verfing sich an den Simsen und in den Fensternischen, fiel urplötzlich ab zu einem jaulenden Winseln, um gleich darauf zu einem hohen Pfeifen anzusteigen. Direkt vor

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