Die Liebe am Nachmittag
Schmachtfetzen hab ich schon mal grölen gehört, in irgendeinem Lokal. Iboly blickt von meiner Schulter in den blutroten Himmel; ihre Stimme setzt zwischendurch manchmal aus, als würde sie einnicken. Sie hebt erneut an:
Könnt’ ich’s spielen auf der Geige
Sie summt es nochmals, als wollte sie diese erste Zeile nachholen, die sie vorhin weggelassen hat.
Könnt’ ich’s spielen auf der Geige
Sie muss ihr besonders gut gefallen. Danach schweigt sie, summt wie eine kranke Mücke; die letzte Zeile klingt dann wieder normal:
Länger kann ich’s nicht ertragen
Diesen anzüglichen Gassenhauer trällert sie heute zum ersten Mal, vielleicht hat sie ihn im Café Baross gehört. Aber schon seit Frühlingsbeginn singt sie mir vor, auf der Insel und auch auf dem Friedhof packt sie mir ihre Sehnsucht in die Schmachtfetzen der Saison.
Mein Gott, wie spät ist es denn schon? Ich muss ja noch in die Redaktion. Na bitte, da hab ich doch schon wieder vergessen, meine Uhr aufzuziehen. Iboly hat keine Uhr. Ich hätte ihr wirklich eine kaufen können, wäre ja zur Zeit auch beim Uhrmacher gar nichts schuldig gewesen.
Wann können wir wieder zusammen sein? Ach,ich sei böse. Sie kann es nicht verstehen. Drückt ihr Gesicht an meine Brust und heult gleich los, wenn ich sie nicht tröste.
Ibi, mein Kleines, der Beruf, den ich ausübe, ist nun einmal so, da ist alles wichtiger als ein Flirt. Ich weiß es nicht, kann dir’s nicht sagen, vielleicht lässt es sich die ganze Woche nicht einrichten, dass wir uns sehen.
Und ich habe tatsächlich irrsinnig zu tun, täusche also nichts vor, um mich gegen Iboly abzuschotten.
Schaffe es auch kaum, zu meiner Mutter hinauszufahren; immer noch empfiehlt man ihr, viel zu liegen und sich auszuruhen.
Außerdem hatte die 5Fleurs einen kleinen Tennisunfall; seit vier Tagen ist sie im Sanatorium, ihr rechter Knöchel ist stark angeschwollen, sie kommt in keinen Schuh hinein. Mittags laufe ich immer zu ihr hinein, da ist kein anderer Besuch bei ihr. Und ich arbeite und arbeite bis zur Verblödung; zu all meinen Schreibereien habe ich jetzt auch noch das Lustspiel eines französischen Schauspieler-Autors zum Übersetzen angenommen; mein Theater will das Stück unbedingt für die kommende Saison haben, nur dann könnte man mir etwas dafür zahlen. Und wie ich mich mit dem miserablen Schund abplagen muss, um auch in Pest damit den Eindruck zu vermitteln, dieses Stück käme aus der flotten Feder eines guten französischen Autors. Außerdem haben wir hier gerade einen wahren Auflauf von Fremden, ganze Nachmittage gehen mir verloren mit diesem für mich zweifelhaften Vergnügen, amerikanische Schriftsteller und Schriftstellerinnen zu betreuen, die man mir mit Empfehlungsschreiben auf den Hals geschickt hat; und es sind auch Filmleute aus Amerika, aus Berlin gekommen, mir wohlgesonnene Bekannte haben sie auf mich aufmerksam gemacht, ein Bein müsste ich mir ausreißen und zu ihnen rennen, das Ende aber wird sein, ich ahne es schon, dass sie die Synopsen, die ich ihnen rekommandiert schicken werde, nicht einmal zu Gesicht bekommen. Schade um die Briefmarken. Schade auch um die Zeit, schade um das viele Händeschütteln mit all den gewissen in- und ausländischenFremden, die mich mit dem Ansinnen aufsuchen, ihnen alle fürs Ausland interessanten Novellen zusammenzustellen, die sie dann in Italien, Holland, in den Vereinigten Staaten, vielleicht sogar in England unterbringen werden. Wenn in Einzelfällen wirklich etwas glückt, bleiben sie einem meist das Honorar schuldig.
Ruf mich nur an, Iboly, ich werde sehen.
Lieb ist dieses Kind, süß. Die Welt ist so verloren; wer kümmert sich um das, was ich tue? Heute bin ich hier, bin heiß, mit keiner anderen Bestimmung als hineinzubeißen in die sich bietende Wonne, wie die Bestie im Zoo ins rohe Fleisch, das man ihr hinwirft.
Süß ist der Duft des Flieders im Frühling.
Süß der Jasmin. Süß ist der Duft des Ölbaums. Süß der Holunder, ach, aber betörend und wild süß, süß. Am süßesten duftet der Akazienbaum, der seine Blüten gerade geöffnet hat, und eine ganze Reihe von Bäumen führt hier unten bis zu den Brückenpfeilern hin. Der süße Wohlgeruch ihrer dichten Blütentrauben bringt mich fast zum Würgen, dringt betäubend durch Mund und Nase, macht mich beinahe taub und blind zugleich.
Bis zur Brücke reden wir nichts; Iboly hat mir mein Stöckchen abgenommen, sie mag es, abseits in freierem Gelände mit dem Stock zu gehen. Schaut
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