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Die Liebe am Nachmittag

Die Liebe am Nachmittag

Titel: Die Liebe am Nachmittag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erno Szep
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die Fenster der Villen aufleuchten, in der Ferne fließen dort die Sterne und das Lampenlicht so ineinander, dass man gar nicht mehr erkennt, wo der Himmel endet und die Erde anfängt; man sieht, wie in der Christinenstadt unten plötzlich die Straßenlaternen in Reih und Glied angehen, als hätte irgendeine fröhliche Mobilisierung ihren Anfang genommen, als wäre ein Signal ertönt, dass nur sie vernehmen konnten. Nein, da, wo noch Spaziergänger herumstreunten, habe ich sie nicht geküsst, so etwas tue ich nicht mehr. Und dort fiel mir auch noch nicht im Traum ein, Iboly zu küssen. So sehr hat mich ihr Mund noch nicht gereizt, nein, und ich wollte mich ihr auch nicht ausliefern. Es wäre doch möglich, dass ich diese Iboly morgen schon fallen lasse; vielleicht wird mir morgen von diesem immer neu ersehnten Frühling irgendeine bezauberndere Fee zugewiesen. Und wenn ich vielleicht dieses Mädchen, das entschlossen ist zu lieben, traurig machen würde, indem ich ihren Mund für mich beanspruchte, wo sie doch noch gar nicht zu spüren bekommen hat, dass ich mich ein wenig für sie erwärmt habe, wo sie doch noch kein zärtliches Wort von mir zu hören bekam, kein schönes, inniges In-die-Augen-Schauen und auch kein gefühlsschwangeres Schweigen, nicht einmal so viel, dass ich ihre Hand für fünf Minuten in meiner Hand gehalten hätte; wozu dann der Armenihren verträumten Seufzer von den Lippen küssen? Nein, es muss wirklich nicht sein, dass ich sie küsse.
    Nein; aber danach haben wir uns auf den Rückweg gemacht, hinunter zum Margaretenring; am Ende der Basteipromenade steht ein verlassenes Wachhäuschen, ein schäbiger Unterstand aus Holz, übrig geblieben aus Kriegszeiten.
    Iboly hat diese Bude irrsinnig gefallen! So etwas hat sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen!
    »Nicht wahr, da könnte man sich doch unterstellen, wenn es regnet?«
    Ich glaube, dass ist auch in Zeiten wie diesen noch erlaubt.
    »Ach!« Iboly hüpfte davon und schlüpfte in den Unterstand. Sie lachte und langte nach meiner Hand.
    »Kommen Sie, so kommen Sie doch, sehen Sie nicht, dass es regnet? Da draußen werden Sie ja pitschnass!«
    Ich ahne, was sie im Schilde führt.
    Auch mit dieser Handbewegung insistierte sie, zog mich hinein. Kein Wunder, schließlich ist sie die Schwächere.
    »Wie eng es hier ist, kaum Platz für zwei, nicht wahr?« Ich schrammte an ihrer Brust entlang.
    Sie sah zu mir auf, seufzte tief und leckte sich hastig die Lippen, vielleicht unwillkürlich, wie sonst auch. Unterwürfig blickte sie mir in die Augen und atmete tief, dabei gab sie ein, zwei wimmernde Laute von sich, wie ein Welpe.
    Ich musste lachen.
    Soll ich dich küssen?
    Sie antwortete mit einem tiefen Seufzer und griff nach meiner Hand, schloss die Augen und neigte ihren Kopf weit nach hinten.
    Mach die Augen auf. Willst du mich nicht sehen? Stört dich mein Gesicht?
    So, jetzt die Augen wieder zu.
    Mit meiner freien Hand rückte ich ihr Gesicht zur Seite wie ein Fotograf:
    So, noch ein klein wenig. Höher den Kopf. Nicht so hoch. So.
    Sie duldete es, wartete. Lachte leise mit geschlossenen Augen.
    Drückte meine Hand und drückte.
    Sofort, gleich meine Liebe. Wir wischen nur das Mündchen noch ein wenig sauber.
    Ich zog meine Hand aus der Umklammerung ihrer Finger, nahm ihr Kinn und fing an, mit den Fingerspitzen meiner anderen Hand an ihren zusammengekniffenen Lippen zu wischen, blies von Zeit zu Zeit hin, wie man von einer zu Boden gefallenen Kirsche den Staub wegbläst.
    Sie stampfte auf, schüttelte den Kopf und kicherte, biss mich leicht in den Finger.
    Dafür bekam sie einen sanften Backenstreich.
    Dann küsste ich sie. Mit dem rechten Arm zog ich sie an mich, meine linke Hand legte ich auf ihre warme Mütze. Sie legte ihre beiden Arme um meinen Hals, und ich spürte, wie sie züchtig die Hüfte etwas zurückzog.
    Und noch etwas spürte ich. Verflixt, sie zerquetscht mir die Brille. Drückt sich von rechts so fest an mich, hier in der Innentasche verwahre ich meine Augengläser.

11.   Nacht
    Die Brille.
    Vor etwa drei Jahren fiel mir erstmals auf, dass beim Lesen plötzlich die Schrift vor meinen Augen verschwand. Und sich auch beim Schreiben vom zur Hälfte beschriebenen Blatt die Zeilen verflüchtigten, bis nichts mehr von ihnen zu sehen war. Was konnte das sein? Ermüdeten meine Augen so stark?Ich schloss die Augen, wollte ihnen etwas Erholung gönnen. Und ich rieb mir die Augäpfel, als wäre ich schläfrig. Inzwischen weiß ich, dass

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