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Die Liebe am Nachmittag

Die Liebe am Nachmittag

Titel: Die Liebe am Nachmittag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erno Szep
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hämische, mir übel gesonnene Zeitgenossen hielt ich Menschen, die mich überreden wollten, mir schnellstens Gläser zuzulegen, und die behaupteten, der Schaden sei umso größer, je später ich mich dazu entschlösse. Seltsam, wie sehr mir das die folgenden Monate vergällte. Ich nahm an mir selbst Bekehrungsversuche vor. Fing an, eine Brille bei Jünglingen sympathisch zu finden, Brillenträger für intelligent zu halten. Mädchen, die auch auf der Straße eine Brille tragen, und die hübschen jungen Frauen, die sich zum Bridgespiel Augengläser auf die Nase setzen, sind ganz nett, manche macht eine robuste Hornfassung sogar attraktiver. Wenn ich brillenbewehrteAutobuschauffeure und Trambahnschaffner sah oder irgendwo einem adretten Schutzmann mit Brille begegnet bin, sagte ich mir: da schau her, und freute mich. Auch unter den vornehmen Herren fahndete ich: Viele von ihnen trugen bereits eine Brille, darunter manche sogar noch jünger als ich. Der eine schaut durch ein schwarzes Horngestell, der andere durch freundliches Schildpatt; es gibt Augengläser, bei denen die beiden Metallbügel, die hinters Ohr geklemmt werden, am nackten Glas befestigt sind. Sie kommen mir vor, als genierten sich ihre Träger wegen der Brille und würden sie am liebsten verstecken, denn zumindest aus der Ferne ist hier gar nicht zu erkennen, dass ein Mensch mit Brille daherkommt. Ältere Herren bevorzugen einen Goldrand um ihre Sehhilfe, ja man sieht goldumrandete Brillen oft auch bei Jüngeren, die vielleicht mit dem bisschen Gold ihren Wohlstand demonstrieren und um Ansehen werben wollen. Möglicherweise aber entspricht die Goldfarbe auch einfach ihrem Geschmack. Alle diese Herren haben lange sinniert, bevor sie entschieden, welche Fassung sie wählen würden, eine schwarze, rötliche, braune oder eben die aus Gold. Ich, wenn ich wirklich einmal eine brauche, werde nicht so eitel sein und natürlich eine dunkle Hornbrille nehmen. Eines Abends setzte ich mich im Künstlerclub Fészek zu meinen Malerfreunden; man brachte die druckfrischen Blätter,
Studio
,
Die Kunst
,
Connaisseur
; mit einem Mal, sozusagen im selben Augenblick griffen alle sieben, acht Künstler zu ihren Brillen, holten sie hervor wie Soldaten ihre Säbel ziehen. Der eine verwahrt sie in der rechten Brusttasche, der andere in der linken, beim dritten und vierten lugt sie aus der Zigarrentasche hervor; sie alle haben also schon endgültig kapituliert.
    Es gibt unter ihnen auch manche, die ihre Brille aus der Hosentasche hervorziehen, sie verwahren sie in einem bauchigen Futteral. Zusammen mit all diesen Künstlern bin ich jung gewesen, der Moment, in dem sie alle ihre Brillen aufsetzten,war für mich schrecklich. Meinem guten Tibor, der jüngsten Seele unter uns, lugt der Brillenbügel ebenfalls aus der Zigarrentasche hervor, dazu baumelt auch noch ein Monokel vor seiner Brust; ich muss immer daran denken, wie wir am hinteren Ende der Margareteninsel splitternackt in der Donau gebadet haben, und damals baumelte weder Brille noch Monokel an seinem Hals. Auch Tibors Haar hat herbstlicher Reif gestreift; was nützt da die sogenannte Begabung, wenn er nicht einmal das Wunder fertigbringt, mit einem seiner Küsse den eigenen Schläfen wieder Farbe zu geben.
    Die Brillenfrage habe ich noch ein Jahr lang hinausgezögert.
    Als mir der Professor dann die Fünfviertel-Gläser verpasste und ich meine Mutter damit überraschte, dass ich sie mir vor ihren Augen auf die Nase setzte, da seufzte sie ein großes, süßes Gottseidank und meinte:
    »Wie gut dir diese Brille steht.«
    Nicht wahr, dass ist es doch, was der Deutsche mit dem Begriff Herzensbildung bezeichnet.
    Heute bin ich schon bei der zweiten Brille und bei anderthalb Dioptrien angelangt.
    Anfangs ließ ich die Brille immer daheim auf meinem Schreibtisch,wollte sie keinesfalls bei mir haben,wenn ich unter Menschen ging. Aber sobald ich dann irgendwo die Zeitung las, fehlte sie mir sehr, meine Augen verlangten danach.
    Ich bin schließlich eingeknickt und trug sie immer bei mir.
    Sogar in der Trambahn holte ich sie hervor, wenn ich die Abendzeitung durchblätterte. Doch sobald eine gut aussehende Weiblichkeit im Wagen auftauchte, griff ich schnell zu meiner Sehhilfe und ließ sie verschwinden. Obwohl ich doch mit der Frau gar nichts im Sinn hatte.
    Jetzt studiere ich auch schon die Speisekarte mit Brille. Eine Frage der Gewohnheit.
    Der Dame wird die Lesehilfe natürlich verschwiegen, undich räume sie weg. Eines

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