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Die Liebe am Nachmittag

Die Liebe am Nachmittag

Titel: Die Liebe am Nachmittag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erno Szep
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Nachmittags blieb sie versehentlich auf dem Tisch liegen.
    »Was, Sie haben eine Brille?«
    Ja, stellen Sie sich vor, seit vorgestern. Habe ich nicht erwähnt, dass ich beim Augenarzt war? Ich soll meine Augen schonen, in meinem Beruf.
    »Natürlich. Setzen Sie sie auf. Ach wie nett.«
    Auch sie probierte sie. Und sah ganz gut damit aus.
    Beim nächsten Mal nahm ich die Gläser gar nicht mehr ab, als es klingelte. Küsste sie mit Brille.
    Iboly weiß noch nichts von der Brille.
    Sie hat auch keine Ahnung, wie alt ich bin.
    Das wollte auch die Dame nie von mir wissen. Ich habe es von mir aus gesagt. Iboly werde ich es wahrscheinlich nicht sagen.
    Nachdem wir den ersten Kuss hinter uns hatten, habe ich sie immer ziemlich lässig geküsst. In den kleinen Kinos setzte ich mich mit ihr hinten in die Logen, zog in der Dunkelheit ihren Kopf ein- oder zweimal zu mir hin, legte meinen Mund auf den ihren. Jetzt hielt sie meine Hand schon so, als wären wir ineinander verliebt. Manchmal zog sie auch ihre Hand aus der meinen zurück, weil sich unsere Handflächen aneinander erhitzt hatten. Sie beugte sich wiederholt zu mir, küsste mir das Gesicht, den Hals, den Stoff auf meiner Schulter. Iboly ist ein ideales Kinopublikum, sie schwärmt für Chevalier, für Clark Gable, für Hermann Thimig und Gustav Fröhlich, Szőke Szakáll himmelt sie an; für jene, die sie mag, findet sie keine schwächeren Attribute als himmlisch oder göttlich; hingerissen ist sie natürlich von Greta Garbo, von der Bergner, von Macdonald (nicht dem englischen Premier), von Kay Francis und von allen.
    Im Kino entwickelte sich zwischen uns, während wir vor der Wochenschau die Werbesprüche ertragen mussten, ein kleines Gesellschaftsspiel.
    Wir fingen an, leise mit dem Sprecher die belehrenden Sprüche zu deklamieren, mit denen man die Menschheit von den Vorzügen gewisser Steinkohlen und Zahncremes und Schuhe zu überzeugen versucht. Ja, im Duett flüsterten wir manche Reime schon im Voraus, so als würden wir sie diktieren:
    Diese Pille
    wirkt enorm.
    Hoffnung
    in Tablettenform:
    Aspirin
    Und:
    Boxcalf
    ist ein
    feines Leder,
    das weiß jeder.
    Und:
    Unvermeidlich
    jeder Dreck
    geht jedoch
    beim Waschen weg:
    Mit PERSIL
    Und kost’ nicht viel.
    Als wir aus dem Kino kamen, fragten wir uns gegenseitig ab; Iboly, die Streberin, memorierte insgeheim auch die Prosatexte und überraschte mich, indem sie sich mir mit andächtiger Miene zuwandte:
    »Träume vom Reichtum erfüllen sich nie? Kommen Sie ins Bankhaus Selma und spielen Sie Klassenlotterie. Ziehung schon nächste Woche.«
    Oder sie rief mir nach, wenn wir uns trennten:
    »Ach, etwas ganz Wichtiges hab ich jetzt noch vergessen. Schonendes Waschen, chemische Reinigung erledigt für Sie zu günstigen Preisen Lorelei, die Dampfwäscherei. Die Wäsche wird abgeholt.«
    Selbst die Adressen und Telefonnummern konnte sie auswendig hersagen.
    Dieses Mädchen verbreitet Fröhlichkeit, schenkt mir viel gute Laune.
    Ich brauche dieses Lachen, genieße das bisschen Albernheit.

12.   Nacht
    Ja. Aber nachher habe ich Iboly wieder nur sehr sporadisch in Anspruch genommen.
    An diesen Oktobernachmittagen hatte ich meine Rendezvous mit dem Oktober.
    Mit dem Herbst, meiner ewig blonden Liebe.
    Ein französischer Poet hat sich folgendes schöne Bild einfallen lassen: Ein goldener Ring an der Hand des Jahres ist der Oktober.
    Schon immer bin ich an Oktobernachmittagen vor dem ganzen Leben auf die in Gold getauchte Margareteninsel geflohen.
    Ich nehme dann auch kein Buch mit, lese allein den Oktober.
    Wandle, wo sonst keiner geht, halte inne, stehe und setze mich auf eine Bank und sitze da und sitze.
    Sehe zu, wie die Blätter fallen. Lauere auf den unfassbaren Augenblick, da sich das Blatt von seinem Zweiglein löst. Inmancher Minute beginne ich, ein bestimmtes Blatt auf einer Platane, Eiche oder Pappel zu fixieren: Jetzt wird es fallen. Es ist schon vorgekommen, dass ich es erraten habe. Und auch da konnte ich nicht das geringste Zucken erspähen, nicht den kleinsten Winkel, in dem das sich lösende Blatt sich vom Ast wegbiegt, sah nur, dass es sich schließlich löst, dieses Blatt, und auch schon zu Boden segelte. Ein Schmetterling, der nur herabschweben mag.
    Dort stehen, nahe dem Pester Donauufer ein paar Ahornbäume, deren Blätter sich weiß färben statt zu vergilben. Um vier, wenn die Sonne noch Leuchtkraft hat, lodern diese Bäume, jedes ihrer Blätter ist schieres Licht, körperlos, reine Flamme, pure Seele.

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