Die Liebe am Nachmittag
im Konzert den Kopf hoch, weil die Musik mich aufputscht, sehe mich um nach der Flüchtigen, vielleicht ist sie anwesend, vielleicht erkenne ich sie? Ich spähe auch in Autos hinein, wenn der Verkehrspolizist sie anhält, und dann dämmert mir kurz, dass ich noch immer jemanden suche, irgendjemand. Manchmal reizt es mich, in der Passage der Váci-Straße das Schaufenster des Prominentenfotografen in Augenschein zu nehmen; unter den Porträts stehen auch die Namen der Damen, neue Namen, ich habe sie noch niegehört; absolute Ferne, totale Distanz. Es gab Zeiten, da ließ ich den Kopf hängen, war betrübt wegen der Komtessen, denen zu nähern mir nicht möglich war; heute fällt mir dazu nur ein: Mein Gott, steh nicht hier herum, du hast zu tun.
Am Freitag kommt die 5Fleurs.
Es ist doch gut, dass man jemanden hat.
Iboly, die zählt nicht.
23. Nacht
Bevor ich mich wieder Iboly zuwende, möchte ich einige meiner Erfahrungen bilanzieren. Vielleicht zieht doch der eine oder andere meiner jüngeren Geschlechtsgenossen daraus einen Nutzen.
Das Folgende habe ich noch während des Krieges gelernt: Lässt man seinen schäbigen steifen Hut mit einem neuen Band versehen, den Saum frisch einfassen und den Hut auch noch färben, besitzt man anschließend wieder eine anständige Kopfbedeckung. Ist der Überzieher, das Jackett oder die Hose eingerissen oder hat man sich ein Loch hineingebrannt, so schließen es die Kunststopfereien so perfekt, dass man die Beschädigung am Stoff gar nicht mehr erkennen kann. Diese Kunst hat also die Organplastik am Menschen inzwischen überholt. Als wir nach dem Krieg in Grund und Boden bis auf den nackten Asphalt degradiert worden waren, folgte die Hemdenplastik, man schneiderte aus dem heilen Rückenteil eine neue Hemdbrust oder fertigte daraus neue Manschetten, den fehlenden Stoff im Rücken ersetzte man durch ein Stück weißes Leinen. Ich wusste gar nicht, dass man seine verschossenen und verschlissenen Krawatten in einer Krawattenklinik der Innenstadt wenden lassen kann. Auch habe ich erfahren,wie Handschuhmacher heute selbst durchgescheuerte Handschuhe sanieren, Löcher mit feinen kleinen Lederflecken kaschieren oder ganze Daumen annähen, die sich nach einigen Waschgängen farblich völlig angleichen. Von wieder anderen lernte ich, dass man Krawatten gar nicht fertig kaufen muss, in der Wiener Straße werden nämlich Reste von Foulardseide und Crêpe de Chine angeboten, und man kann sich daraus Selbstbinder schneidern lassen, die genauso wenig verknittern wie die Zehn-Pengő-Krawatten aus der Váci-Straße. Und wem wäre denn beispielsweise die Naht auf einem meiner Halbschuhe aufgefallen? Keiner Menschenseele, nicht wahr? Weil es nämlich gar keine Reparaturnaht ist, sondern eine Überklebung. In der Auslage einer Schuhmacherwerkstatt in einer Seitenstraße entdeckte ich folgendes Reklameschild: Neue Erfindung! Unauffällige Beklebung mit Leder statt derber Naht. Das Leben von zwei Paar Schuhen konnte ich um ein halbes Jahr verlängern, indem ich die hässlichen Risse einfach überkleben ließ. Das also war meine Entdeckung. Ebenso die sanft schonende Behandlung, die ich den Ärmeln meiner Jacketts angedeihen lasse, einfach dadurch, dass ich den Stoff diskret etwas höher schiebe, nicht wahr, bevor ich die Ellbogen auf die Unterlage stütze. Auf diese Weise beule ich die Ärmel nicht aus, und der Stoff wird nicht so schnell glänzend und verschlissen. In all diese Geheimnisse habe ich auch schon ein Dutzend meiner Schicksalsgenossen eingeweiht; falls sie mich überleben, werden sie gewiss gern und dankbar meiner gedenken.
Ich habe, oder sagen wir besser, hatte einen Freund, den ich wegen meines Elends verlor. Als ich noch ein grüner Junge war, pflegte er darauf zu achten, dass ich zum blauen Anzug keine hellbraunen Schuhe trug, er hat mir geraten, nicht unbedingt auf dem Handkuss zu bestehen, wenn mir eine Dame eine behandschuhte Hand entgegenstreckt; er empfahl mir, nicht jedem Bekannten mein Servus zuzurufen, wenn dermit einer mir unbekannten Dame vorbeiflanierte, sondern nur diskret zu grüßen; von ihm lernte ich auch,dass ich stumm den Hut ziehen sollte, wenn ich in Begleitung einer Frau bin. Ihm verdanke ich die Gewohnheit, mir die Schuhe putzen zu lassen, wenn ich nachmittags zu einer Visite gehe, denn ich schlendere gern viel herum und habe dadurch immer staubiges Schuhwerk. Er brachte mich schließlich zum einzigen Hemdenschneider in ganz Pest, der Herrenhemden perfekt
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