Die Liebe am Nachmittag
nicht, man wartet, bis der Betreffende von sich aus auf seine Herzensangelegenheit zu sprechen kommt. Meine besten Freunde sind verheiratet, dem einen glühen vor lauter Sorgen die Ohren, der andere kränkelt, einen weiteren interessiert nichts als das geschriebene Wort, wen sollte ich da mit meinen Geständnissen belästigen? Auch würde ich mich ein wenig genieren, über Herzenssachen zu reden, in meinem Alter und in diesen Zeiten. Gelegentlich, wenn ich unter Gleichgesinnten sitze, wo über die Welt palavert, über andere getratscht oder über die Kunst sinniert wird, fällt mir ein, dass früher auch für sie die Liebe das große Thema war, ja, die Liebe. Längst vorbei auch die Zeit, als ich mit einem aus meiner Zunft nachts am Donauufer entlangflanierte, stundenlang rauf und wieder runter, wobei wir wechselseitig unser Herzeleid sezierten und uns an den Dichtern aufrichteten.
Was konnte ich nicht alles von Verlaine und Musset auswendig zitieren.
Vom feinsinnigen Csokonai, dem bitteren János Vajda oder dem fiebrigen Ady.
Lange Zeit konnte ich den kompletten Onegin. Wenn ich mich heute abhören will, stottere und stolpere ich auf Schritt und Tritt und weiß nicht weiter.
Meine eigenen Gedichte verscheuche ich wie Fliegen von der Stirn.
Nichts ist mir geblieben als die nackte Realität.
24. Nacht
Gleich soll es weitergehen, vorher muss ich aber noch ein wenig lamentieren dürfen. Eines Morgens entdeckte ich ein graues Haar auf meinem Kopf. Gut, an den Schläfen hatte mein Haar schon früher begonnen, ein wenig zu ergrauen; das war mir noch normal erschienen, eine Art morgendlicher Raureif, wie er Ende Oktober gelegentlich zu beobachten ist. Aber dieses schlohweiße Haar mittendrin; ich zog es hervor, ein Silberfaden von der Wurzel bis zur Spitze. Da war ich doch überrascht. Ich stellte mir die Frauen vor, die armen, wenn sie sich ihr erstes graues Haar entfernen. Ob ich mir’s ausreiße? Lassen wir das. Ein Haar, ein einziger Silberfaden, was heißt das schon. Aber am nächsten Morgen, als ich mir das Haar scheitelte, entdeckte ich gleich drei, vier, fünf solcher Fäden. Vielleicht habe ich an diesem Morgen auch schon genauer hingesehen.
Was soll das? Mein Haar lichtet sich merklich, und jetzt hat mich auch das Grau eingeholt, brutal.
Wie könnte ich diese Silberhaare vor der 5Fleurs verbergen?
Plötzlich verhedderte ich mich in meinen Gedanken, inmeinen Haaren, in meinen brennendheißen Sorgen ums Geld.
Die Welt wird haltlos und verfällt. Meine Blätter, eines nach dem anderen, haben ein Verfahren eingeführt, wonach Honorargutscheine nur noch an einem bestimmten Wochentag eingelöst werden können; ferner,dass man Glossen,Artikel und dergleichen erst honoriert bekommt, nachdem sie erschienen sind. Ein Wochenblatt, für das ich regelmäßig schreibe, ließ mich wissen, dass man meine Texte nur noch einmal monatlich drucken könne, weil ich zu teuer bin. Ich gerate in solche Geldnöte, dass ich das Haareschneiden wie in meiner Schülerzeit hinauszögern muss, und der Wäscherei bin ich bereits in der vierten Woche den ausstehenden Betrag schuldig geblieben; man hat mich wissen lassen, dass man nicht länger warten will; falls ich die Rückstände nicht in der kommenden Woche begleiche, sieht man sich gezwungen, meine Wäsche einzubehalten. Auf den Schwarzen nach dem Essen verzichte ich bereits seit vier Wochen; dem Ober sage ich, es geschehe aus gesundheitlichen Gründen; der gute Mann bestärkte mich darin: Recht hat der gnädige Herr,in Ihrem Alter sollte man allmählich vorsichtig sein mit dem Kaffee, ich trinke nun schon seit fünf Jahren keinen mehr, nehme im Kaffeehaus nur noch einen Slibowitz. Dabei läuft mein Stück ganz ausgezeichnet, an manchen Tagen bekomme ich ein Dutzend herzzerreißende Bettelbriefe von bankrottgegangenen Ehrenmännern. Mein Blick bleibt manchmal am abgelegten Solitär von 5Fleurs oder an ihrer Perlenkette hängen, so wie arme Teufel schauen, wenn jemand neben ihnen seine pralle Brieftasche öffnet und sie die Augen nicht von den Banknoten lassen können. Iboly ruft an, in welchem Kino sie auf mich warten soll, ich habe ihr für heute einen gemeinsamen Besuch im Filmtheater versprochen; völlig vergessen auch der, was soll ich tun, das kleine Kino und das Abendessen zu zweit sind wieder mindestens acht Pengő, ich hab heute kein Geld.Muss auf den Spaß verzichten: Verzeih, mein Engelchen, zu viel habe ich heute um die Ohren, ruf mich doch morgen wieder an.
»Ach,
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