Die Liebe am Nachmittag
verstehen gewesen wäre, als hätte sie es auf sich bezogen ihrem Spiegelbild gesagt. Minutenlang lachten wir darüber.
Als sie damals wegging, ließ sie ihre Arme noch ein wenig auf meinen Schultern liegen und sah mir etwas entrückt in die Augen; ihr Lächeln war müde, so als wären in ihrer Seele zwei Wolken ineinandergeflossen. Sie sagte:
»Nie werde ich Sie verstehen.«
22. Nacht
Letzte Nacht hätte ich gern noch weiter erzählt über die Dame. Immer noch hetze ich der Liebe hinterher, die mir so abgeht. Und das nach unserer anderthalbjährigen Komplizenschaft.
Abgesehen davon, dass mich die 5Fleurs nicht versteht, könnte sie mich und ich sie doch lieben. Denn die Liebe ist ja etwas Ungebändigtes und Feindliches. Die 5Fleurs stöhnt zwar sehr oft: ich liebe Sie, liebe Sie sehr. Mich schmerzt es, wenn sie das Wort Liebe so unbefangen in den Mund nimmt, es tut mir weh. Die Dame nötigt es sich ab, betäubt sich damit.Ich habe sie schon angefleht, nicht mehr zu sagen, dass sie mich liebt. Mir ist es unmöglich, diese Worte auszusprechen. Dieses
Ich liebe dich
ist für mich eine Blume, die tief unten am Meeresboden schwebt; der Stern, der jenseits aller vom Teleskop erfassbaren Bahnen kreist, ist dieses
Ich liebe dich
. Oder ist es vielleicht meine Schuld, dass dieser unsichtbare Stern mir nicht in die offene Hand plumpst, dass sich die Blume aus der Tiefe des Meeres nicht losreißt, damit ich sie mir ins Knopfloch stecken kann? Vielleicht bin ich gar nicht mehr fähig, mich zu verlieben. Als ich vierzig wurde, sagte mir ein wohlgestalteter alter Mime, der viele Liebschaften hinter sich hatte, ich solle nun auf der Hut sein, jetzt beginne das schwache Geschlecht eine Gefahr zu werden, der Mann »verfalle« ihm sehr. Meine persönliche Erfahrung ist eine ganz andere. Auch der 5Fleurs bin ich nicht verfallen. Ich empfinde, leider, was ich einmal irgendwo gelesen habe, dass nämlich »c’est l’âme qui enveloppe le corps«. Als ob die Seele, meine Seele, wie eine Wolke über dem Dach hoch über uns stillstehen würde. Doch mir fiel einmal auf, dass unsere Herzen, wenn wir uns umarmen, nicht aufeinander sind. Das eine Herz fällt auf diese, das andere auf jene Seite. Würde ich die 5Fleurs im erträumten Sinne des Wortes lieben, hätte ich sie vielleicht mit meiner Liebe wie mit einer Influenza angesteckt. In manchen Augenblicken trifft mich Senecas Urteil mitten ins Herz; er sagt: Si vis amari, ama.
Nein, nein, ich liebe die 5Fleurs nicht. Und bin deswegen nicht mir böse, sondern nur ihr. Bin ungerecht und dumm. Wenn sie sich wieder zurechtmacht, mir für einen Augenblick den Rücken kehrt, ihre Armbanduhr anlegt und schweigt, schaue ich im Liegen zu ihr hin und räsonniere dumm darüber, dass sie am Hinterkopf kein Gesicht hat, dass von hinten niemand derselbe ist wie von vorn; von hinten ist jeder blind und nicht der Mensch, den ich betrachte; ich schaue auch die 5Fleurs wie eine Fremde an, von der ichnicht weiß, wie sie plötzlich hierher kommt. Mir gehen so verrückte Dinge durch den Kopf, etwa dass mich, wenn sie sich jetzt gleich umdreht, ein anderes Frauenantlitz ansieht als das ihre, dass aus ihrem vertrauten Mund eine ganz andere Stimme spricht als die ihre. Während ich sie so betrachte, frage ich mich auch, ob ich sie aus Eifersucht erschießen könnte. So dummes Zeug denke ich nur, damit ich den Schmerz loswerde. Ganz flüchtig kommt mir auch der Gedanke in den Sinn: Könnte es sein, dass die Dame noch einen anderen Liebhaber hat als mich? Sie begegnet doch ständig allerlei gut aussehenden Kavalieren. Und ist auch selbst so frei wie ein Vögelchen. Nein, ich verdächtige sie nie. Denn sollte sie sich tatsächlich in jemanden verlieben, kann sie mich doch auf der Stelle stehen lassen, auswechseln wie ihren Friseur oder den Hutmacher. Zudem hat sie ja gar nicht die Zeit, einen weiteren Herrn zu beglücken, ich kenne doch ihr Tagesprogramm wie mein eigenes. Und wenn doch? Wenn ich es eines Tages erfahren würde? Was würde ich empfinden? Was tun? Ich weiß es nicht. Es ist angenehmer, nicht daran zu denken. Und es gibt Stunden, in denen ich mir wünsche, dass diese Verbindung zu Ende wäre. Gott, wie lange soll das noch gehen? Eine Minute lang empfinde ich eine heftige Abneigung gegenüber 5Fleurs, weil sie mir meine Zeit nimmt, meine Leidenschaft, die einer anderen gehören sollte, der Richtigen für mich, die sich irgendwo verborgen hält, der ich nicht begegnen kann. Gelegentlich werfe ich
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