Die Liebe am Nachmittag
bleiben wir ein kurzes halbes Stündchen sitzen. Ich starre, staune, der wilde rätselhafte Frühling macht mich wirr; und als sähe ich die junge Frau an meiner Seite zum ersten Mal, so entdecke, betrachte und berühre ich sie; es ist wie auf einer Messe oder Ausstellung, wo ich mir unbekannte exotische Früchte ansehe oder irgendeine glänzende neue Apparatur ergründe.
Ich hebe ihre Arme an, streiche über ihre glatten, weichen Händchen, betrachte die Lebenslinien in ihrer Hand, biege jeden einzelnen Finger, strecke ihn, solange es ihr nicht wehtut. Ich weiß nicht, zum wievielten Mal wir, ich und sie, sinnend die Monde auf ihren Fingernägeln betrachten; am linken kleinen Finger unter dem Mond hat sie noch irgendeine zarte Riffelung; wodurch die wohl entstanden ist und welchen Sinn sie hat? Und ich betrachte ihren Mund, wenn sie redet, achte nicht auf das, was sie sagt; und ich bestaune die ständig zwinkernden Augen, lege ihr meine Hand auf den Kopf, wenn sie ihr Hütchen abnimmt, puste ihr ins Haar, indiesen Schopf im Farben-Dreierlei, bei dessen Anblick mir immer die Blüte der Duftwicke einfällt. Und dann betrachte ich ihr Ohr; dieses zarte, glänzende Ohr ist so interessant wie geschälte Nusskerne,reizvoll wie das neugeborene reine Wunder. Ich betaste dieses Ohr, drücke und reibe es; niemals käme ich auf die Idee, mit den Ohren der 5Fleurs zu spielen; sie ist kein Kind, an ihrer Seite kann ich kein solches Kind sein. Iboly erduldet hingebungsvoll meine Verrücktheit, lacht, trällert vor sich hin oder raucht mit fanatischer Ruhe. Danach versenkt sie sich zusammen mit mir in die Geheimnisse einer Rosskastanienknospe, die ich vom Boden aufgehoben habe; mit den Fingerspitzen berühren wir die klebrige, geschwollene Knospe; und auch wenn ich mit einem Fachmann statt mit der ahnungslosen Iboly rätseln und wir diese heilige rotzige Knospe mit so unbegreiflicher Andacht betrachten würden, müsste uns dieser grünliche Brei, den wir mit den Fingern zerreiben,nachdem wir den Rosskastanientrieb seziert haben, ein unergründliches Rätsel bleiben.
An einem Nachmittag brachte Iboly dann auch ihr Textbuch mit, den dicken Packen zusammen mit ihrem Retikül fest unter den Arm geklemmt. Ab sofort wird man sie bis zum Tag der Prüfung nur noch so zu Gesicht bekommen. Sie fühlt sich damit nun schon als Bühnenkünstlerin. Mich stört es nicht, soll sie doch das Textbuch, die Rolle mit sich herumtragen, dieses Glück darf man ihr nicht verleiden!
Auf der Bank schlug sie das Textbuch auf: Ich solle sie abhören und würde sehen, dass sie keine Silbe auslässt. Und tatsächlich, sie beherrscht den Text wie das Vaterunser.
Regelmäßig möchte sie von nun an mit mir üben.
Aber nicht hier, sondern bei mir. Sie könnte dann direkt von der Schule zu mir hinaufkommen, würde gern auf die Jause verzichten, nur lernen, das wäre jetzt wichtig.
Mein liebes Kind, das könnte aber gefährlich sein. Ich fürchte, es gibt kein Lernen, wenn du zu mir kommst.
Kurzes Schweigen, ein Zucken huscht über ihre lächelnden Augen, sie greift nach meiner Hand, wie sie es im Kino tut, dann überlegt sie und sagt ein wenig betreten:
»Aber wir könnten ja trotzdem auch lernen.«
Nimm deine Hand weg, da kommen Leute.
Ich lese ihre Rolle, lese und verstehe überhaupt nichts von all diesen großen, runden, klar zugeordneten Worten. Weiß nicht, wo ich mit meinen Gedanken bin.
Iboly wartet, bis dieses junge Paar weit genug weg ist, dann lehnt sie sich an mich, umfasst mich und schweigt, schaut dem Pärchen nach; plötzlich neigt sie ihren Kopf gegen meinen Hals,streichelt mit ihrem Haar mein Ohr und sagt,oder besser flüstert mit so matter Stimme, als wäre sie heiser:
»Möchten Sie denn nicht,dass ich zu Ihnen hinaufkomme?«
O doch, mein Herzchen. Nur, nur ich bitte dich …
Ich zog an meiner Zigarette und entschied indessen, dass ich es diesem lieben, kleinen Menschen ehrlich sagen werde:
Mein Kleines, ich bin jetzt sehr müde. Kannst du das verstehen, Iboly?
Darauf schwieg sie, ohne sich zu rühren. Ich spürte, dass sie sich fester an mich presste.
Ich küsste ihr warmes Köpfchen, bohrte meine Nase in ihr Haar. Dieses Mädchen nimmt immer gleich ihren Hut ab, wenn wir uns hinsetzen, ganz gleich, ob wir im Freien oder unter einem Dach sind.
Und dann drückte sie jetzt ihr Näschen in mein Genick, gab mir einen Kuss hinters Ohr, wie ein Küken, wenn es ein Korn aufpickt, und so fragte sie, die Lippen an meinem Ohr, halb
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