Die Liebe atmen lassen
ertragen werden, können noch lieb gewonnen werden, sodass das Selbst sich wie unter Entzug fühlt, wenn der Andere abwesend ist. Die gewohnte Bekundung »Ich liebe dich« wäre dann eher zu übersetzen mit: »Ich habe mich so an dich gewöhnt, dass ich dich nicht entbehren kann.« Zweifellos birgt dies das Risiko, irgendwann in der Gewohnheit zu erstarren, wenn der geliebte Andere zu einer Art von Inventar wird, mit dem das Selbst im alltäglichen Umgang vollkommen verschmilzt, eine mystische Einheit von eigenem Reiz, wie Picasso sie malte: Nackte Frau in einem roten Sessel ( Femme nue dans un fauteuil rouge , 1932), wobei nicht klar ist, ob hier ein Sessel die Vertrautheit eines Menschen oder ein Mensch die Vertrautheit eines Sessels gewonnen hat.
Neben der Organisation von Raum und Zeit fallen im Alltag Arbeiten an, auf deren Erledigung nur um den Preis verzichtet werden kann, dass sie sich stapeln. Die erforderliche Organisation der Arbeit umfasst die Arbeit an sich selbst wie auch an Freundschaften, die Familienarbeit und Bürgerarbeit, die Muße als Arbeit und die Arbeit am Sinn, nicht zuletzt die Erwerbsarbeit. Als besonders problematisch erweist sich regelmäßig das Verhältnis von Familienarbeit und Erwerbsarbeit , von Reproduktion und Produktion. Einerseits bedarf die gemeinsame Lebensführung einer Herstellung und Beschaffung materieller Ressourcen ( Produktion ), andererseits ist gerade diese Arbeit auf die körperliche, seelische und geistige Regeneration der Kräfte angewiesen, die vor allem im vertrauten Zuhause möglich ist ( Reproduktion ). Wer aber mit Familienarbeitbefasst ist, hat mit dem Haushalt zu tun, mit all den Praktiken und automatisierten Gesten zur Besorgung von Nahrung und Kleidung, mit der Pflege der Dinge und der Beziehungen, mit lästigen, endlos wiederkehrenden Wäschebergen und Geschirrstapeln, die ein- und auszuräumen, aufzuhäufen und stets von Neuem abzutragen sind: Die Arbeit eines Sisyphus , den man sich hier nicht immer als einen glücklichen Menschen vorstellen darf. Der Haushalt ist kein Reich der Autonomie, eher eines der Heteronomie, dominiert von der jeweiligen Konstellation der Dinge, die den Menschen bedrängen. »Den Haushalt machen« ist der alltägliche Kampf gegen das Chaos der tausend Dinge, der nur mit Multitasking, Timing und ausgeklügelter Logistik zu gewinnen ist, bis zum nächsten Tag. Dazu zählt auch die ungeliebte, unproduktive Verwaltung des Lebens , die Kommunikation mit Institutionen und Behörden, die Regelung von Finanzen, Miet- und Steuerzahlungen, Versicherungen und Versorgungen. Aber es ist die Familienarbeit, die die im modernen Leben auseinander driftenden Einzelnen zum »Wir« zusammenfügt und im Durcheinander der Dinge Inseln der Muße zu schaffen versteht, um sich wieder an der Gestaltung des Lebens zu versuchen, das nicht nur der fremdbestimmten Arbeit, sondern auch selbstbestimmten Tätigkeiten und gemeinsamen Unternehmungen gewidmet ist.
Und wer sorgt nun für die nötigen materiellen Ressourcen? Wer besorgt Lebensmittel und Alltagsdinge und entsorgt die Reste? Wer macht das Essen? Wer deckt den Tisch? Wer wäscht das Geschirr ab? Wer wäscht, wer bügelt? Wer macht die Betten, wer die Steuererklärung? Die Aufteilung der Arbeiten ist immer wieder umstritten; sie fällt leichter, wenn beide Geschlechter sich für mehrere Arbeiten qualifizieren, denn jede einzelne beansprucht ein eigenes Können, das mit Übungund praktischer Erfahrung, mit Ratschlägen Anderer und mit Handbüchern (Anna Knon, Haushaltungsbuch , 2002) zu erwerben ist. Wie die Regelung des Zusammenlebens überhaupt, so ist die Aufteilung der Arbeiten in moderner und andersmoderner Zeit keine Frage der Tradition, Konvention und Religion mehr; an ihre Stelle tritt die individuelle Definition , und die Beteiligten tun gut daran, sie nicht ständig neu vorzunehmen, denn der dafür nötige Aufwand an Zeit und Kraft ist erheblich größer als der, den die Arbeiten selbst erfordern. Persönliche Vorlieben sind hilfreich, der Rest ist Gegenstand von Verhandlungen, Auseinandersetzungen, Kompromissen, Vereinbarungen, neuer Unzufriedenheit, und dann wieder von vorne. Grundsätzlich ist jede Art der Aufteilung möglich, auch die überkommene, bei der einer sich um die Erwerbsarbeit, der Andere um die Familienarbeit kümmert, oder die überzogene, bei der keiner sich für irgendetwas zuständig fühlt. Sollte beides nicht gut lebbar sein, geht es um die Aufteilung im Detail.
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