Die Liebe atmen lassen
Anderer auch als hässlich gelten. Besonders wichtig ist die Erfahrung von Charakterschönem , denn bestimmte Eigenschaften des Anderen besonders bejahen zu können, birgt den Keim zu einer anhaltenden Liebe zu ihm in sich.
Die Liebe offeriert die Erfahrung von Beziehungsschönem , wenn die Beziehung durch alle Herausforderungen hindurch bejaht werden kann. Und sie vermittelt Verhältnisschönes , wenn es den Liebenden gelingt, Verhältnisse des Lebens für sich einzurichten, die in ihren Augen bejahenswert sind. Auch Dingschönes kann bejahenswerte Erfahrungen verkörpern, etwa der Ring, die beschriebenen Zettel, die Fotos, die die Liebe symbolisieren und für immer bewahren (Leanne Shapton, Bedeutende Objekte und persönliche Besitzstücke , 2009). Geradezu beheimatet ist Phantasieschönes in der Liebe, mit all den Vorstellungen und Träumen der Liebenden von möglichen Situationen, Konstellationen und Aktionen. Selbst ohne jeden konkreten Anlass kann die Liebe als solche bejahenswert erscheinen, sodass Abstraktschönes erfahrbar wird. Geliebt werden können zudem Menschen und, wenn alle Beteiligten einverstanden sind, Verhaltensweisen, die in den Augen Anderer weniger bejahenswert erscheinen: Das führt zur Erfahrung von Negativschönem , denn die Liebe macht selbst das Verneinenswerte bejahenswert. Entscheidend für ihre Fortdauer ist nur, ob eine nachhaltige Erfahrung von Schönem möglich ist. Womöglich müssen die Liebenden sich willentlich um schöne Erfahrungen bemühen, die sich zunächst von selbst ergaben.
4. Schöne Erfahrungen festigen die Liebe. Was auch immer den Beteiligten bejahenswert erscheint, begünstigt nicht nur das Entstehen, sondern auch das Fortbestehen der Beziehung. Diese Erfahrungen können aus den Augen verloren, aber auch wieder gesucht und gefunden werden, ausgehend von den Fragen, die sich in kritischen Momenten geradezu aufdrängen: Bin ich für den Anderen noch schön, ist der Andere für mich noch schön, bejahe ich ihn weiterhin? Wenn aber das Schöne sich im Laufe der Zeit verloren hat: Gibt es Erinnerungen an schöne Erfahrungen und gemeinsam bewältigte Herausforderungen? Was war es einst, das bejahenswert erschien, am Anderen und an mir selbst? Wann und warum hat es sich verloren? Lässt es sich wieder herstellen? Ist es durch anderes Schönes zu ersetzen? Gibt es in der Gegenwart eineSinnlichkeit, gemeinsame Gefühle und Gedanken, auch Gewohnheiten, die ich nicht missen möchte? Gibt es etwas am Anderen und am Leben mit ihm, das ich nicht bejahen kann, und was folgt daraus? Ist ein Ja überhaupt noch möglich, und wenn nicht, was wäre dafür zu tun, um es wieder möglich zu machen, von wem? Gibt es Ideen und Projekte für kommende Zeiten, die schön erscheinen?
Es fällt nicht schwer, das am Anderen zu lieben, was bewundernswert erscheint und stolz auf ihn sein lässt, aber er hat, wie das Selbst, auch Seiten an sich, die ein Tribut an die Polarität des Lebens sind, und keiner will nur wegen seiner schönen Seiten geliebt werden. Sehr früh in der Beziehung sollte die Aufmerksamkeit darauf gerichtet sein, um sich selbst zu fragen: Kann ich auch diese Seiten akzeptieren, die ich nicht sonderlich mag? Haben sie Platz in meiner Liebe? Sind sie durch irgendetwas aufzuwiegen? Können die schönen Seiten die unschönen im Zweifelsfall übertrumpfen? Die Antworten zeigen, ob es einen starken Grund dafür gibt, zusammen zu sein und zu bleiben. In schwierigen Zeiten ist dieser Grund wichtiger als die Frage, wer »Recht« hat und wer »Schuld« trägt. Überwiegt das Bejahenswerte, wird die Beziehung immer von Neuem wertvoll, sodass das Selbst vorbehaltlos mit dem Anderen zusammen sein kann. Sollte da aber nichts mehr sein, was sich bejahen lässt, bleibt irgendwann nur noch »die Erinnerung daran, dass es einmal schöner war« (Mina, Heißer Sand und ein verlorenes Land , Schlager, 1962).
Auf der Basis des Schönen ist eine Ethik der Liebe , die vielen wünschenswert erscheint, als ästhetische Ethik zu begründen, denn das Ästhetische, das Schöne, bringt von selbst ethische Konsequenzen hervor, zunächst für die Ethik des Einzelnen : Aus dem, was mir bejahens wert erscheint, gewinne ich fürmich und mein Leben einen grundlegenden Wert , an dem ich meine Haltung und mein Verhalten orientieren kann. Die Bejahung des Anderen und der Beziehung zu ihm führt zu einer Wertschätzung , mit der ich ihm und der Beziehung zu ihm eine außergewöhnliche Bedeutung gebe. Alles gewinnt
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