Die Liebe deines Lebens
davon zu erzählen.«
»Ach das, ja. War nur eine blöde Bemerkung über eine deiner Freundinnen. Er findet, eine Frau namens Julie ist eine Nutte, nein, warte, eine Schlampe hat er sie genannt, weil er sie angeblich mehrmals mit verschiedenen Männern gesehen hat. Eines Abends ist er ihr dann in der Leeson Street begegnet, mit einem verheirateten Typen, den er kannte.« Er zuckte die Achseln. »Dann hat er noch ein paar kritische Sachen über ihre Aufmachung gesagt.«
»Und das fandst du lustig?«
»Na ja, die Art, wie er es formuliert hat, war schon ziemlich ungewöhnlich.« Adam lächelte. Aber nur ein kleines Lächeln. Dann wurde daraus ein trauriges Lächeln.
Ich schüttelte den Kopf. Julie war eine meiner besten Freundinnen aus dem College – die gleiche Julie, die nach Toronto gezogen war und mir ihr Auto überlassen hatte. Barry versuchte also weiter, mich zu verletzen.
»Und was war die andere Nachricht?«
Er entfernte sich weiter.
»Adam!«
»Ach nichts. Ziemlich unsinnig. Nur so ein Geschimpfe, so wütende … Wut.« Eine Weile starrte er mich schweigend an, dann verließ er endgültig das Zimmer.
Was hatte ich da gerade in seinem Blick gesehen – Sympathie, Mitgefühl, Neugier? Ich konnte es nicht genau identifizieren, aber es beunruhigte mich. Ich wählte meine Mailbox an.
»Sie haben keine neuen Nachrichten.«
»Adam, du hast meine Nachrichten gelöscht!«, rief ich entrüstet und rannte ihm nach ins Wohnzimmer.
»Ach ja? Entschuldigung.«
»Das hast du absichtlich gemacht.«
»Ach ja?«
»Was hat Barry gesagt? Raus mit der Sprache.«
»Ich hab es dir doch erzählt – dass deine Freundin Julie eine Schlampe ist. Ich glaube übrigens, ich würde sie gern mal kennenlernen, sie klingt interessant«, fügte er hinzu, wahrscheinlich, weil er fand, das könnte die Stimmung aufheitern.
»Erzähl mir von der zweiten Nachricht.«
»Ich kann mich nicht erinnern.«
»Adam, das sind meine Nachrichten, verdammt«, schrie ich ihn an und baute mich vor ihm auf. »Ich will wissen, was er gesagt hat!«
Aber mein Geschrei hatte nicht den gewünschten Erfolg. Eigentlich hatte ich ihn provozieren wollen, erreichte aber genau das Gegenteil – er reagierte ruhig und mitfühlend. Und das ärgerte mich noch mehr.
»Das willst du gar nicht wissen. Okay?«, sagte er.
Die Art, wie er mich anschaute, machte mir Angst. Welche persönlichen Geheimnisse hatte Barry heute in seiner Nachricht offenbart? Aber da ich jetzt offensichtlich nichts aus Adam herauskriegen würde, drehte ich mich um und ging aus dem Zimmer.
Am liebsten wäre ich davongerannt, aus der Wohnung, weg von ihm, um endlich mal allein zu sein und einfach zu schreien oder zu heulen oder laut meinen Frust darüber herauszubrüllen, dass mein Leben so außer Kontrolle geraten war. Aber ich konnte nicht, ich fühlte mich an diesen Mann gebunden wie eine Mutter an ihr Kind, unfähig, ihn zu verlassen, auch wenn ich im Moment nichts lieber getan hätte. Er war meine Verantwortung, die ganze Zeit, ununterbrochen, Tag und Nacht, ich musste auf ihn aufpassen, auch wenn er im Augenblick wegen irgendetwas, was Barry gesagt hatte, offenbar das Gefühl hatte, es wäre seine Aufgabe, mich zu beschützen.
Ich hatte schnell begriffen, dass Adams Stimmungen völlig unberechenbar waren. Im einen Moment beteiligte er sich intensiv am Gespräch, beherrschte es manchmal sogar, dann wieder ließ er es bestenfalls über sich ergehen und stieg mittendrin plötzlich aus. Dann war er einfach weg, völlig in seine eigenen Gedanken versunken, und sah so verloren und manchmal so wütend aus, dass ich mir gar nicht ausmalen mochte, was ihm durch den Kopf ging. Der Rückzug konnte mitten im Gespräch einsetzen, mitten im Satz – sogar in seinem eigenen –, und sich stundenlang hinziehen. Er schottete sich völlig ab.
Genau das passierte auch, nachdem ich ihn wegen der gelöschten Mailbox-Nachricht angeschrien hatte. Aber als ich sah, dass er es sich für die nächste Koma-Periode auf der Couch gemütlich machte, um das Leben, sich selbst und sämtliche Menschen und Dinge seiner Umgebung zu hassen, ergriff ich umgehend entschlossene Gegenmaßnahmen.
»Alles klar, gehen wir«, sagte ich und warf ihm seine Jacke zu.
»Ich gehe nirgendwohin.«
»O doch. Willst du verschwinden?«
Verwirrt sah er mich an.
»Ja, du willst verschwinden«, erklärte ich ihm. »Du möchtest einfach verlorengehen. Also gut, gehen wir verloren.«
Die dreijährige Alicia
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