Die Liebe deines Lebens
saß neben ihrem Kindersitz auf der Verandatreppe. Sie war Brendas Jüngste, und zu meinem Tantenpflichtprogramm, das ich von Herzen genoss – am meisten mit Alicia, denn zu den Jungs, die mich, sobald ich durch die Tür trat, fesseln und am Spieß braten wollten, fand ich keinen richtigen Kontakt –, gehörte es, dass ich jede Woche ein paar Stunden mit Alicia verbrachte. Vor etwa vier Monaten, wahrscheinlich ungefähr zur gleichen Zeit, als ich angefangen hatte, über das Ende meiner Ehe nachzudenken, hatte sich die aktuelle Form unserer Ausflüge entwickelt. Sonst war ich mit Alicia meistens zu einem Spielzentrum gefahren und hatte ihr dabei zugeschaut, wie sie in einem mit Schaumstoff ausgepolsterten Raum von einer Wand zur anderen purzelte, Treppen herunterrollte und sich in große Wannen voller Plastikbälle fallen ließ, und wenn sie dann kam, um zu kontrollieren, ob ich ihr auch aufmerksam zuschaute, meinen entsetzten Gesichtsausdruck mehr oder weniger erfolgreich zu verbergen versucht. Aber an diesem Tag hatte Alicia auf dem Weg zum Spielzentrum an der Ampel, wo wir normalerweise nach rechts abbogen, verlangt, ich solle nach links fahren. Da ich ohnehin nicht scharf darauf war zuzusehen, wie sie zwischen zwei gepolsterten Dreh-Walzen herumkrabbelte und sich im Namen des Vergnügens zermalmen ließ, und ich außerdem etwas in Gedanken war, nachdem ich letzte Nacht über mich und einen anderen Mann phantasiert hatte, folgte ich einfach ihrer Anweisung und fragte Alicia bei der nächsten Abzweigung, wo sie jetzt hinwolle. Auf diese Weise fuhren wir eine Stunde lang durch die Stadt.
Das wurde zur Gewohnheit, und wir landeten jedes Mal an einem anderen Ort. Ich hatte Gelegenheit zum Nachdenken, es war ein guter Zeitvertreib, der Alicia außerdem die Möglichkeit gab, auch einmal Autorität über einen Erwachsenen auszuüben.
Einer der Tipps, wie man auf einfache Art das Leben genießen konnte, lautete:
»Verbringe Zeit mit Kindern.«
In dem Buch wurden Untersuchungen zitiert, die zeigten, dass die von Kindern hervorgerufene Freude besonders wirksam war – obwohl ich anderswo gelesen hatte, dass der Glücksfaktor etwa dem bei einem Lebensmitteleinkauf entsprach. Ich nahm an, dass es auch darauf ankam, ob man im Allgemeinen Kinder mochte oder nicht. Aber ich hoffte einfach, dass es eine weitere Möglichkeit war, Adam die Schönheit des Lebens nahezubringen. Und es würde ihn auch bestimmt niemand festnehmen, weil er meiner Nichte zuschaute.
»Hi, Alicia!«, rief ich und nahm sie zur Begrüßung in den Arm.
»Hi, Kacka.«
»Warum sitzt du denn allein hier draußen?«
»Lee macht grade Kacka.«
Lee, die Kinderfrau, winkte uns, im Arm den sechsmonatigen Jayden, vom Fenster aus zu, und ich nahm es als Zeichen, dass ich mit Alicia losziehen konnte.
Adam saß, immer noch nahezu komatös, auf dem Beifahrersitz; ich öffnete seine Tür.
»Du kannst dich zu Alicia auf den Rücksitz setzen. Das ist Adam, er will heute mit uns verlorengehen.« Wenn er vorne saß, konnte er Alicia allzu leicht ignorieren, und ich wünschte mir, dass er ein Gespräch mit ihr anfing.
»Ist er deine große Liebe, Kacka?«
»Nein, Kacka, das ist er nicht.«
Alicia kicherte.
Ich wuchtete den Kindersitz auf die Rückbank, befestigte ihn und schnallte Alicia an. Adam setzte sich brav neben sie, schaute zwar erst unbeteiligt aus dem Fenster, legte dann aber eine kurze Pause in seinem Tagtraum ein und musterte die süße Dreijährige.
Eine Weile starrten sich die beiden an. Keiner sagte ein Wort.
»Wie war es heute im Montessori-Kindergarten?«, fragte ich.
»Gut, Kacka.«
»Hast du vor, in jedem Satz Kacka zu sagen?«
»Ja, Pipi.«
Adam sah verwirrt, aber belustigt aus.
»Gibt es kleine Kinder in deiner Familie?«, fragte ich ihn.
»Ja, die von Lavinia, aber das sind ziemlich überhebliche Rotznasen. Dass sie ihr Haus verloren haben, ist wahrscheinlich das Beste, was ihnen passieren konnte.«
»Wie nett«, meinte ich sarkastisch.
»Sorry«, ruderte Adam zurück.
Ich beobachtete meine beiden Passagiere im Rückspiegel.
»Wie alt bist du denn?«, fragte Adam Alicia.
Alicia hielt vier Finger in die Höhe.
»Vier?«
»Sie ist drei«, korrigierte ich.
»Und offenbar eine kleine Lügnerin«, meinte Adam vorwurfsvoll.
»Schau dir meine Nase an, wuuuuu«, sagte Alicia und demonstrierte mit der Hand das Wachstum ihrer Nase.
»Wo fahren wir eigentlich hin?«, fragte Adam.
»Nach links«, antwortete Alicia.
»Sie ist erst
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