Die Liebe der anderen
einzige Frau, die ich kenne, bei der ich zuweilen das Gefühl habe, ich wäre plötzlich mit einer anderen zusammen. Als wenn … als wenn …« Er verstummt, sucht nach Worten. Mein Herz schlägt im Rhythmus seines Schweigens. Er sieht mich wieder an. »Es ist nicht wichtig. Ob Russisch oder Spanisch, meine ich.«
»Mir ist letzteres lieber.«
»Ach, verstehst du auch kein Russisch mehr?«
Scheiße, ich habe Tango und Russisch gelernt! »Nein, das Spanische liegt mir mehr. Jedenfalls im Moment.«
Er lacht, und ich falle in sein Lachen ein, ohne zu wissen, was es bedeutet, weder für ihn noch für mich.
Längst erfüllt Pablos Atem das Schlafzimmer, und ich starre immer noch zum Fenster und betrachte das Licht der Nacht hinter der Jalousie. Ich versuche mich darauf zu besinnen, was ich seit meinem Erwachen gelernt habe. Vielleicht geht es gar nicht so sehr um all das Vergessene, sondern um die Dinge, an die ich mich noch erinnere. Vielleicht hat mein Gehirn mein Leben ausradiert, damit ich mir ein neues aussuchen kann. Und wenn das stimmt, dann habe ich mir wohl noch nicht die richtigen Fragen gestellt. Vor lauter Alltagsstress und Angst vor Fehlern habe ich keine Vorstellung mehr davon, wie ich früher war, als ich Pablo kennenlernte.
Wie ich meine Gedanken so schlaftrunken umherwandern lasse, scheint es mir mit einem Mal unerlässlich, mir die wesentlichen Vorstellungen meines früheren Singledaseins ins Gedächtnis zu rufen.
Mit fünfundzwanzig, also vor zwei Tagen!, hatte ich noch kein Bild von der Zukunft. Ich kam gar nicht auf die Idee, sie mir auszumalen. Mein Interesse beschränkte sich auf die Frage: Wie kann man es mit ein und demselben Mann länger aushalten als ein Jahr (was ich damals schon für eine Leistung hielt)? Ohne sich zu langweilen? Ohne Lust auf einen anderen zu bekommen? Ich liege neben dem seelenruhig schlafenden Pablo in der Stille und bin immer noch sicher, in der Haut meines Ichs von damals zu wohnen. Meine Beziehungen verliefen alle nach dem gleichen Muster: Liebe auf den ersten Blick, Leidenschaft, magische Anziehungskraft der Körper und dann nichts mehr. Oder höchstens noch eine langsame Agonie, die zwangsläufig mit der nächsten Liebe auf den ersten Blick endete. Ich halte mich nicht für eine Aufreißerin. Ich glaubte jedes Mal fest daran. Hatte ich zu hohe Ansprüche? Meine Großmutter hat mich oft gewarnt: »Du wirst sehen, ein Paar ist ein Zusammenschluss von Verbrechern. Nach fünfundvierzig Jahren weiß man immer noch nicht, wer von beiden mehr liebt, leidet oder verzichtet …« Pablo dreht sich seufzend auf meine Seiteund seine Hand landet auf meinem Bauch. Das Einzige, was mir immer im Kopf umherspukte, war ein gewisses Ideal von der »wahren Liebe«. Das war so eine Art Sicherheitsvorkehrung, die ich in mein Leben eingebaut hatte: Es kam nicht in Frage, mit irgendeiner Bettgeschichte Kinder zu zeugen.
Sicher, in einem hitzigen Moment konnte es dennoch passieren, dass ich mir ein kleines blondes oder braunhaariges Köpfchen vorstellte, je nachdem, oder auch ein Augenpaar, in dem ich gewisse Ähnlichkeiten feststellte. Doch bei diesen Phantasien beließ ich es dann auch. Ich hakte das als meinen zyklischen Kinderwunsch ab und verjagte sie mit einem Bürstenschlag, einem Gin Tonic oder mit der Höhe der Summe, die meine Freundinnen für den Kindergarten berappen mussten. Und überhaupt: Ich hatte weder einen festen Tagesablauf noch ein geregeltes Leben, und so ein Kind brauchte drei Mahlzeiten täglich. Am meisten verwirrten mich die Besuche im Krankenhaus, wenn eine meiner Freundinnen mich einlud, ihren frisch geschlüpften Sprössling zu bewundern. Ein Blick in die Augen des Neugeborenen, und ich lief drei Tage lang herum wie unter Drogen und beendete sogar manch wirre Bettgeschichte, weil der Betroffene nun wirklich nicht als Vater meiner Kinder in Frage kam. Und Pablo, der friedlich neben mir schläft und sein Bein an meinem reibt, wie wurde er zum Vater meiner Kinder, warum habe ich gerade ihn auserwählt?
Denn offensichtlich habe ich bei ihm mein Glück gefunden, das ist ja gerade das Komische. Wie kann man alles vergessen wollen, und sei es unbewusst, wenn man doch seinen Lebenstraum verwirklicht hat? Was ist in dieser Idylle vorgefallen, dass mein Gehirn eine Fortsetzung verweigerte? Und warum bin ich nicht völlig verrückt geworden? Warum habe ich nicht gleich alles an den Nagel gehängt? Ich hätte ebenso gut auch Pablo, die Kinder, meine Freunde, meine
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