Die Liebe der anderen
aussehe, ist aus der Schachtel gefallen, als wäre es ihm ein Anliegen, sich zu zeigen.
»Du hast dir wohl schon gedacht, dass ich es bin?«
Sie nimmt das Foto und betrachtet es.
»Ich hätte nicht gedacht, diesen Moment so gut einzufangen. Einen Augenblick zu erfassen, heißt noch lange nicht, ihn auch fotografieren zu können.«
Ich versuche, darüber zu scherzen, bin dem Gott des Zufalls aber unendlich dankbar.
»Hättest du dir nicht einen fröhlicheren Augenblick aussuchen können?«
Sie sieht mich nachdenklich an.
»So warst du fast den ganzen Abend. Ich habe dich sogar noch gefragt, was los ist, erinnerst du dich? Und du sagtest: ›Nichts‹. Du hattest dich hinter deinem Kummer verschanzt. Das tat mir so weh, dass ich irgendwann fast ein bisschen wütend war und deinen Fotoapparat genommen habe. Damit ich dir später sagen konnte: ›Siehst du, was für ein Gesicht du an meinem Vierzigsten gezogen hast?‹ Das war echt übertrieben. Dabei hätte eigentlich ich traurig sein müssen. Deshalb habe ich mich seitdem auch nicht mehr bei dir gemeldet …« Sie lacht. »Nein, in Wirklichkeit habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht die Zeit hatte, dich früher anzurufen. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht und sogar Pablo neulich schon gefragt, ob ihr Streit hattet.«
»Und was hat er gesagt?«
»Nichts, er hat nur rumgeflachst. Du kennst ihn ja, wenn er nichts sagen will. Als ich dich vorhin anrief, fiel mir meine Geburtstagsparty ein, und auf dem Weg hierher dachte ich, deine vielen Fragen und deine schlechte Stimmung damals haben bestimmt etwas miteinander zu tun.«
»Vielleicht hast du recht, das weiß ich noch nicht so genau.«
Ich zögere. Wenn ich Juliette alles sage, was ich seit meinem »Erwachen« weiß, kann sie mir bestimmt besser helfen, die Schlüssel zu dem zu finden, was ich nicht weiß. Aber wie soll ich ihr erklären, dass ich auch an sie und an unsere Freundschaft keinerlei Erinnerung habe? Das könnte ein Schock für sie sein. Ich kenne sie nicht gut genug, um einen solchen Freundschaftsbeweis von ihr zu verlangen. Außerdem könnte sich ihre Version der Dinge ändern, wenn sie weiß, dass ich mich an nichts erinnere.
Überdies, und das ist neu für mich, muss ich einem Menschen innerhalb von Sekunden vertrauen, nur aufgrund meines Instinkts und des Moments. Als Barometer dient mir mein Verständnis von Freundschaft. Ich muss mich gewissermaßen auf mich verlassen und jemandem Vertrauen schenken, der eben erst die Schwelle zu meiner Wohnung und zu meinem Gedächtnis überschritten hat. Eine heikle, aber auch spannende Sache.
Ermutigt von ihrem fragenden Blick schieße ich los: »Da wir uns schon so lange kennen, dachte ich … Ich möchte von dir wissen, was du gefühlt hast, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Wie hast du meine Entwicklung erlebt, wie siehst du mich heute, was denkst du über die Frau, die ich geworden bin, im Vergleich zu der, die ich einmal war? Ich möchte auch wissen, wie du meine Beziehung zu Pablo beurteilst. Und bitte verschweige nichts. Als wenn du im Vertrauen mit einem Dritten über mich reden würdest.«
Sie seufzt.
»Gar nicht so einfach, dir diesen Wunsch zu erfüllen. Ich kenne dich lange als Freundin, und als Patientin. Bevor ich dich kannte, war ich Pablos Freundin, und vor noch längerer Zeit seine Geliebte.«
Autsch! Manche Details sollte man wissen, bevor man seine Freunde in derlei Übungen verstrickt.
»Was du da von mir verlangst …«
»Ist schwierig, ich weiß. Eine Sache sollten wir vielleichtvorab klären, wenn wir schon bei den Geständnissen sind: Hast du es jemals bereut, nicht mehr mit Pablo zusammen zu sein?«
Juliette bekommt einen Lachanfall. »Dass ausgerechnet du, die meine Beziehung zu Bruno kennt, mich das fragst, ist schon ziemlich komisch! Dass Pablo und ich aus Versehen in einem Bett gelandet sind, war ein tragischer Irrtum, daran haben wir keine Sekunde gezweifelt, weder er noch ich. Die Freundschaft steht uns wesentlich besser, und ich war überglücklich, als du einen meiner besten Freunde geheiratet hast. Ich hatte nur eine Sorge: mich nicht mit der Frau zu verstehen, die Pablo auswählen würde. Er ist wie ein Bruder für mich! Und wie du weißt, war er es, der mir gleichzeitig dich und Bruno vorgestellt hat. Er ist der Mann meines Lebens, und du bist meine beste Freundin. Du siehst, unsere Vergangenheit ist vollkommen geklärt. Aber zurück zu dir. Als ich dich das erste Mal sah, fand ich dich
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