Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
angestrengt er nach den richtigen Worten suchte. Ihr wurde unbehaglich zumute. Längst ahnte sie den Grund für sein Zögern. Langsam drehte er den Kopf wieder zu ihr hin. Von neuem erschreckte sie der Ausdruck, der sein geliebtes Antlitz verzerrte. Sie wollte die Hand heben, sie ihm auf die Wange legen, konnte sich jedoch nicht rühren. Ebenso fühlte sie sich unfähig, etwas zu sagen.
»Vergeblich habe ich in den letzten beiden Jahren auf ein klärendes Wort, auf eine kurze Nachricht von Euch gewartet«, fuhr er fort. »Das heißt, inständig gewartet oder gehofft habe ich eigentlich nur die ersten Wochen, Monate, das erste Jahr. Mit jedem weiteren Monat, der ins Land gegangen, mit jedem neuen Brief Eures Bruders, der ohne eine Zeile von Euch bei mir eingetroffen ist, ist meine Hoffnung geschrumpft. Schließlich ist sie ganz versiegt. Euer beharrliches Schweigen ist es, was mich zuerst tief verletzt, dann einfach nur davon überzeugt hat, mich wohl sehr geirrt zu haben. Die gestrige Nachricht hat diese Vermutung leider nur ein weiteres Mal bestätigt. Nach all der Zeit taucht Ihr nur auf, um mich im Kreis von mir zum Teil völlig Fremden zur Rede zu stellen. Was, glaubt Ihr, muss ich davon noch halten?«
»Wie könnt Ihr so von mir denken? Eben erst habe ich Euch erklärt, dass ich niemals …«, setzte sie an, um sogleich wieder abzubrechen. So machte die Unterredung keinen Sinn.
»Im Rückblick stellt sich leider vieles anders dar«, überging er ihren Einwurf. »Jeden einzelnen Augenblick unserer Begegnungen in Königsberg sehe ich inzwischen mit anderen Augen. Deshalb bitte ich Euch, das Haus meines Freundes zu verlassen und künftig nie wieder zu versuchen mit mir in Kontakt zu treten.« Seine Mimik veränderte sich. Die harten Züge um seinen Mund wurden weicher, die Runzeln auf seiner Stirn weniger. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie einen Anflug von Altvertrautem in seiner Mimik zu erkennen meinte. In beinahe zärtlichem Ton sagte er: »Bitte lasst mich in Frieden. Ich will mir nicht auch noch die letzte Erinnerung an einige sehr kostbare Momente von damals versagen.«
Seine Stimme war heiser geworden, ging in ein rauhes Krächzen über. Die grünbraunen Augen schimmerten plötzlich feucht. Wieder biss er die Lippen aufeinander, legte die Stirn in Falten. Dieses Mal aber fehlte der Ausdruck von Abscheu auf seinem Antlitz.
Seine Worte verletzten sie. Doch so bitter es für sie war, so sehr verstand sie auch seine Haltung. An seiner Stelle hätte sie wohl kaum anders gehandelt. Sie senkte den Blick. Kaum wollten ihr die Finger gehorchen, als sie nach dem Säcklein mit der Phiole griff. Das dünne Gefäß zu spüren verschaffte ihr einen Hauch Zuversicht. Besser wäre es allerdings gewesen, es in die Hand zu nehmen, zu öffnen und einen Tropfen des blauen Öls auf die Handfläche zu geben, um seine Kraft einzuatmen. Unwillkürlich machte sie eine winzige Bewegung auf ihn zu. Im nächsten Augenblick erstarrte er.
»Geht!«, sagte er noch einmal. Dieses Mal war es allerdings keine Bitte, sondern ein Befehl.
»Nein!« Sie ballte die Hände zu Fäusten. Tief nagte die Enttäuschung des Zurückgewiesenseins in ihr, zugleich aber straffte ihr der Stolz den Rücken. »Es stimmt mich traurig, dass Ihr das einst zwischen uns Geschehene in Frage stellt, nein, es gar völlig auslöschen wollt, und das, ehe ich Euch meinen Standpunkt überhaupt erklären konnte. Die Tatsache, dass ich gekommen bin, bevor Podski und die anderen hier auftauchen, sollte Euch zu denken geben. Was, wenn ich bis vor kurzem gar nicht gewusst hätte, wo Ihr steckt? Auch nicht, dass mein eigener Bruder und seine Frau mit Euch in Verbindung stehen, weil sie das mir gegenüber nie erwähnt haben? Ihr habt übrigens ebenfalls nicht das Geringste unternommen, mich über Euren Verbleib aufzuklären. Dabei wusstet Ihr genau, wo Ihr mich erreichen konntet.«
Sie wartete, ob sich auf Veits Antlitz etwas regte. Je länger sie ihn ansah, je stärker drängte ein bislang hartnäckig bekämpfter Gedanke nach oben. Er hatte vorhin nicht den geringsten Versuch unternommen, das vor zwei Jahren in der Junkergasse Geschehene zu rechtfertigen, seine mögliche Schuld daran zu leugnen. Nicht einmal seine überstürzte Flucht aus Königsberg direkt nach dem Unglück wollte er ihr erklären. Stattdessen warf er ihr einzig vor, sich nicht mit ihm in Verbindung gesetzt zu haben, und nahm ihr Schweigen zum Anlass, die zarten Bande, die sich damals zwischen
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