Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
ihnen geknüpft hatten, blindwütig zu zerreißen. Das konnte nur eins heißen, Mathilda hatte recht. Er hatte den Einsturz der Mauer mit Absicht herbeigeführt, um Urban ihretwegen aus dem Weg zu räumen! Für einen Moment stockte ihr der Atem. Das war ungeheuerlich! Kein Wunder, dass ihn ihr Schweigen verstört hatte.
»Gut«, erklärte sie, sobald sie sich wieder gefangen hatte, und reckte entschlossen das Kinn. »Ich verspreche Euch, gleich zu gehen und Euch niemals wieder zu behelligen. Gewährt mir zuvor jedoch noch eine Bitte.«
»Und die lautet?« Müde erwiderte er ihren Blick.
»Lasst mich mit Eurem Vater reden. Es geht um Aufzeichnungen meines verstorbenen Gemahls aus seiner Nürnberger Zeit. Darin taucht der Name Eures Vaters auf, kurz danach aber brechen sie ab. Ich möchte ihm einige Fragen dazu stellen. Er allein kann mir helfen, Licht ins Dunkel von Urbans Vergangenheit zu bringen.«
»Ich richte es ihm aus. Wohin kann er Euch eine Nachricht schicken?«
Veits Miene hatte sich wieder ganz verschlossen. Weder Abscheu noch Wut oder Enttäuschung waren darauf zu lesen. Sie hatte verloren. Schwer drückte die Erkenntnis sie nieder. Zugleich aber erfüllte sie auch die Genugtuung, ihr Möglichstes getan und alles versucht zu haben. Leise nannte sie ihm den Namen des Gasthauses in der Floriansgasse.
»Er wird sich melden«, versprach er und wandte sich abermals zum Gehen.
»Veit, bitte auf ein Letztes noch«, hob sie an und wartete gebannt, ob er sich abermals aufhalten ließe. Einen Fuß bereits auf der ersten Treppe, zögerte er. Der Haltung seiner Schultern war anzusehen, wie angestrengt es in ihm arbeitete. Nach einer unendlich langen Weile nahm er den Fuß wieder herunter, wandte sich noch einmal zu ihr um.
»Was habt Ihr noch?«
Sie zauderte. In ihr tobte ein heftiger Kampf, ob es noch einen Sinn machte, sich Veit mitzuteilen. Der gestrige Besuch in der Marienkirche trat ihr vor Augen, die Leidenschaft, die ihr aus dem Schaffen von Veit Stoß entgegengetreten war und die seine Kunst zu etwas ganz Besonderem machte. Allein um diese Leidenschaft ging es, wollte man das Leben wirklich mit Leben füllen, etwas spüren und für andere spürbar machen. Das galt sowohl in der Kunst wie im Umgang mit den anderen Menschen.
»Ich liebe Euch, Veit«, stieß sie aus, um sogleich hastig hinzuzufügen, bevor der Mut sie wieder verließ: »Ich habe Euch immer schon geliebt. Ich weiß, was Ihr getan habt, und ich trage schwer an der Schuld, Euer Leben zerstört zu haben. Bitte bringt Euch nicht unnütz in Gefahr. Flieht, solange Ihr noch könnt.«
»Warum sagt Ihr das jetzt?« Langsam kam er auf sie zu, nahm ihre Hände in die seinen. Die Wärme seiner Haut zu spüren, seine Finger in den ihren zu wissen, versetzte ihr einen angenehmen Schlag. Er breitete die Arme um sie aus, zog sie fest an seine Brust.
»Nicht!«, erwiderte sie leise, hob den Kopf und suchte mit ihren Lippen seinen Mund.
Das lang ersehnte Glück währte jedoch nur kurz. Entschlossen stieß Veit sie auf einmal von sich, schaute sie wieder mit jenem fremden Blick an, der sie gleich zu Beginn der Unterredung bereits erschreckt hatte. Seine Stimme klang rauh. »Lebt wohl, Stöckelin, und passt gut auf Euch auf.«
Ehe sie sichs versah, hatte er sich umgedreht und eilte die Treppe hinauf. Wie betäubt sah sie ihm nach. Zwar wäre sie ihm am liebsten hinterhergerannt, fühlte sich jedoch unfähig, einen Schritt in seine Richtung zu tun. Zu ihrer Verwunderung ordnete sie sich stattdessen Haar, Haube und Kleidung, wischte die feuchten Wangen trocken und verließ würdigen Schrittes Gottliebs Haus.
17
A ls Dora im Gasthaus an der Floriansgasse eintraf, war der Vormittag bereits weit fortgeschritten. Auf den Bänken drängten sich dicht an dicht die Hungrigen, um über dampfenden Schüsseln mit Suppe, Fleisch und Gemüse sowie bei kühlem Bier neue Geschäfte anzubahnen oder auf gemeinsam erzielte Erfolge anzustoßen. An manchen Tischen wurde eifrig gewürfelt. Gelegentlich schickte die Wirtsfrau einen argwöhnischen Blick zu diesen Runden, während es ihr Gemahl lieber mit den gutgekleideten Kaufleuten hielt, die an einer langen Tafel ausgiebig zechten. Weder Steinhaus noch einer seiner Krakauer Freunde fanden sich darunter, ebenso fehlte von Mathilda jede Spur. Bestimmt hatten sie es aufgegeben, auf Dora zu warten, und hatten sich längst auf den Weg zu Gottlieb nach Kazimierz gemacht. Seltsam nur, dass sie ihnen unterwegs nicht begegnet war.
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