Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Gebannt sah Dora ihm entgegen, ahnte, wagte aber kaum zu hoffen, gleich tatsächlich schon Veit gegenüberzustehen. Die Umrisse des Jemand wurden deutlicher, aus dem zunächst unförmigen schwarzen Schatten schälte sich die Gestalt eines großen, gutgebauten Mannes mit einem markanten Gesicht heraus.
Wie oft hatte sie davon geträumt, wie innig hatte sie sich danach gesehnt, es wiederzusehen! Ihr Herz begann heftig zu klopfen. Sie zwang sich, ruhig zu atmen, damit Veit ihre Aufregung nicht bemerkte. Zu ihrem Bedauern verharrte er jedoch in einiger Entfernung von ihr am Fuß der Treppe. Das Licht war zu spärlich, um die Feinheiten seines Antlitzes deutlich zu unterscheiden, doch war sie gleich sicher, dass er sich seit ihrer letzten Zusammenkunft vor zwei Jahren nur wenig verändert hatte. Aufrecht stand er da, schon zu dieser frühen Tagesstunde in einen tadellos sitzenden dunklen Rock und sorgfältig ausgewählte Beinkleider gewandet.
»Dora, Ihr?«, fragte er mit belegter Stimme das Offensichtliche, unternahm jedoch weiterhin keine Anstalten, näher vor sie hinzutreten. Also blieb auch sie an ihrem Platz und wartete bangen Herzens, was weiter geschehen, ob er sie auf die bevorstehende Unterredung mit Steinhaus und den Krakauer Kaufleuten ansprechen würde. Die Nachricht musste ihn und seinen Vater noch am Vorabend erreicht haben. Dass er trotzdem in Kazimierz geblieben war, war ein gutes Zeichen. Also wollte er sich den Vorwürfen stellen. Schließlich hatte er nichts zu verbergen.
»Ich freue mich sehr, Euch wohlbehalten wiederzusehen«, begann sie mit belegter Stimme. »Wie es scheint, habt Ihr hier in Krakau einen guten Ruf. Mir wurde erzählt, der König wollte Euch demnächst auf dem Wawel beschäftigen.«
»Seid Ihr gekommen, um mir zu gratulieren? Dann danke ich Euch herzlich. Den weiten Weg hättet Ihr Euch sparen und mir ein paar Zeilen schreiben können. Das hätte mir genügt und wäre Eurem Kind wohl besser bekommen.«
»Woher wisst Ihr …?«, setzte sie an, um sofort wieder zu verstummen. Seine brüske Art erschreckte sie. Ihre Finger krallten sich in den Stoff ihres roten Rocks, auf zittrigen Knien machte sie einige Schritte zu ihm hin.
»Habt Ihr die Nachricht von Steinhaus erhalten?«, fragte sie. »Glaubt mir, es ist nicht in meinem Sinn …«
»Schweigt!« Heftiger als erwartet brauste er auf, um sich sofort wieder zu besinnen. Mit einem seltsam schiefen Lächeln fügte er leise hinzu: »Ich halte es für besser, Ihr geht, sonst bringt Ihr Euch noch in größte Verlegenheit.«
Schon wollte er sich umwenden und wieder nach oben verschwinden. Sie aber packte ihn am Arm und zwang ihn, sich noch einmal umzudrehen. Hastig sprudelte sie los: »Ich weiß, was Ihr denkt. Stanisław Podski hat Euch bestimmt geschrieben, warum er und seine Freunde Euch sprechen wollen. Glaubt mir, es lag nicht in meiner Absicht, dass sie Euch aufsuchen und des schrecklichen Unglücks vor zwei Jahren wegen zur Rede stellen. Eigentlich wollte ich mit Euch und Eurem Vater allein sprechen, zum einen natürlich über das Geschehen auf der Baustelle, zum anderen über einige Fragen zur Nürnberger Vergangenheit meines Gemahls. Ich habe Hinweise, dass es da etwas gab, was Urbans Unfalltod in ein ganz neues Licht rückt. Euer Vater könnte mir helfen, mehr dazu herauszufinden.«
»Dazu ist es jetzt wohl zu spät.« Mit einer kräftigen Armbewegung befreite er sich aus ihrem Griff. Unterdrückte Wut zeichnete sein Antlitz. Die hohe Stirn war in Falten gelegt, die grünbraunen Augen hatte er weit aufgerissen, die Lippen zusammengebissen. Die Kerbe auf seinem kantigen Kinn schnitt tief in die Haut.
Dora schauderte. Wie sehr hatte sie sich vorhin getäuscht! Das war nicht mehr der Veit Singeknecht, den sie in Königsberg kennengelernt hatte. Jetzt, da sie ihn so nah vor sich sah, wurde ihr der Irrtum schmerzlich bewusst. Der selig gehütete Schafgarbentraum löste sich auf wie vorhin der Frühdunst in den Krakauer Gassen. Nicht der geliebte Veit Singeknecht, sondern ein Fremder stand vor ihr. In seinen Augen blitzte deutlicher Abscheu, um seine Mundwinkel verfestigte sich ein böser Zug.
»Nur damit Ihr es wisst, Stöckelin: Steinhaus und seine Freunde sind mir herzlich egal, ganz gleich, was sie nachher meinem Vater und mir erzählen. Etwas anderes hat mich viel mehr erschüttert.«
Er hielt inne, sah an ihr vorbei ins Leere, schürzte die Lippen. Seine Miene wurde undurchdringlich. Deutlich spürte sie, wie
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