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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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links zweigten kleinere Gassen von ihr ab, die in dunkle Engen mündeten. Niedrige, schlicht mit Stroh oder Holz gedeckte Gebäude beherrschten vorerst das Bild. Näher zum Markt hin wichen sie allerdings immer häufiger mehrgeschossigen Steinhäusern, deren Dächer mit Ziegeln versehen und deren Fenster mit Glas ausgestattet waren. Nur wenige von ihnen aber reichten mit ihrem Fassadenschmuck auch nur annähernd an die herrschaftlichen Häuser Krakaus heran. Dafür erhoben sich westlich des Weges zwei prächtige Kirchen mit hohen Türmen, die offenbar bis weit ins jüdische Viertel im Osten von der Größe des Christengottes künden sollten.
    Die Stadt war bereits zu vollem Leben erwacht. Handwerker und Knechte zogen ihres Weges, Händler kamen zu Fuß mit Kiezen auf dem Rücken daher oder thronten stolz auf kleinen, ochsengezogenen Fuhrwerken über ihren Waren. Allerlei Vieh trieb sich dazwischen herum. Die Hütekinder hatten Mühe, ihre Scharen beisammenzuhalten. An den Garküchen sammelten sich die Hungrigen und warteten auf eine Suppe oder andere warme Köstlichkeiten. Auch Dora verspürte plötzlich Hunger. Bei einer Magd mit einem Korb voll duftender Backwaren am Arm erstand sie ein dampfendes Hefegebäck, das sie mit großem Genuss verspeiste. Lauter werdendes Stimmengewirr kündigte den Markt bereits an, lange bevor sie noch Genaueres erkennen konnte. Wie von dem Wachmann beschrieben, zweigte die Josefsgasse kurz vorher nach Osten ab. Dora beeilte sich, dem Markttrubel zu entgehen und ans Ende der Straße zu gelangen, wo sie Veits Unterkunft vermutete.
    Dass sie sich dem jüdischen Viertel näherte, war bald schon an der Kleidung der Menschen abzulesen. Die bärtigen Männer trugen hohe Spitzhüte sowie einen fingerdicken gelben Ring auf den schwarzen Röcken, die Frauen waren in blaugestreifte Schleier gehüllt. Lediglich die Kinder unterschieden sich in nichts von ihren christlichen Altersgenossen. Freundlich lachten sie ihr entgegen, spielten auf den Gassen Fangen oder trieben ihre Streiche mit den Erwachsenen. Soweit Dora hörte, unterhielten sie sich in einer Sprache, die eher dem Deutschen als dem Polnischen ähnelte. Genaueres aber verstand sie nicht.
    »Wo finde ich das Haus von Jan Gottlieb?«, fragte sie eine Frau etwa ihren Alters, die ihr mit zwei kleinen Kindern an der Hand entgegenkam. Sie hatte sich nicht getäuscht, die Frau verstand sie und lächelte.
    »Gottlieb wohnt vorn an der Ecke, gegenüber der Synagoge. Ihr könnt sein Haus nicht verfehlen. Es ist das letzte auf dieser Seite der Straße. Klopft nur kräftig gegen die Tür, die alte Magd hört schlecht.«
    »Danke.« Erleichtert eilte Dora weiter, sah am Ende der Gasse an einem großen Platz zunächst ein weitläufiges rotes Ziegelhaus aufragen. Das musste die Synagoge sein. Kurz blieb sie stehen, begutachtete das Gebäude, rief sich ihre erste Begegnung mit einem jüdischen Gotteshaus vor gut einer Woche in Petrikau ins Gedächtnis. Ebenso wie dieses war auch die Synagoge in Kazimierz betont schlicht gehalten. Das Auffälligste an ihr war das flache Dach, das vier winzige Ecktürme begrenzten. Im Stockwerk darunter umlief ein zugemauerter Arkadenumgang das Haus, darunter gab es einige hohe Bogenfenster. Suchend schaute sie sich um und entdeckte das Eckhaus, in dem Gottlieb wohnen musste. Im Vergleich zur gegenüberliegenden Synagoge wirkte es alles andere als sonderlich groß, obwohl es über zwei Stockwerke und ein ebenso hohes Giebelgeschoss verfügte. Das Auffälligste war ein doppelflügeliges buntes Fenster im ersten Stock. Vermutlich befand sich dahinter die Wohnstube.
    Auf Doras kräftiges Klopfen hin war im Innern bald lautes Schlurfen zu hören. Als sich die Tür knarrend öffnete, erblickte Dora eine tief gebeugte Alte mit einer weißen Haube und einem so faltigen Gesicht, in dem die kleinen dunklen Augen darin fast völlig verschwanden. Auch der dünnlippige Mund war kaum auszumachen. Laut und deutlich verlangte Dora Einlass. Die Alte legte eine Hand mit nicht minder krummen Fingern hinter ihr Ohr. Dora brüllte ihren Wunsch, zu Jan Gottlieb und seinen Gästen vorgelassen zu werden, direkt in die Ohrmuschel. Daraufhin hellte sich das Gesicht der Frau freudig auf, sie nickte und verschwand mit mühevollen Schritten über eine ausgetretene Holztreppe ins Obergeschoss. Allein blieb Dora in der dämmrigen Diele zurück.
    Oben erklangen Stimmen und eilige Schritte. Nach wenigen Augenblicken hastete jemand die Treppe herunter.

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