Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
hinweg.
Endlich erreichten sie den Innenhof des Schlosses. Doras Herz schlug heftiger, spürte sie doch, dass sie damit unweigerlich dem Zentrum der Macht nahe kamen, wo über ihr weiteres Schicksal entschieden wurde. Die Helle und Freundlichkeit, die ihr von dort entgegenschlugen, überraschte sie. Der lichte, von vielen Rundbögen, hohen Fenstern und weit schwingenden Treppen gezierte Bau erweckte den Eindruck einer betörenden Leichtigkeit, wie sie ihn nie zuvor empfunden hatte. Eine zarte Hoffnung keimte in ihr, dass ein König, der solche Kunst an seinem Hof förderte, sich auch in seinem sonstigen Gebrauch von Macht freundlich und aufgeschlossen zeigte.
»Weiter!«, brummte einer der Wachmänner und riss sie jäh aus ihrer Versunkenheit in die irdische Trübsal zurück. Zielstrebig führte er sie zu einer eher bescheiden wirkenden Tür in der nordöstlichen Ecke des Hofgevierts. Zwei pikenbewehrte Soldaten bewachten den Eingang mit finsterer Miene, woraus Dora schloss, dass er tatsächlich direkt in den Trakt des Königs führte. Hin- und hergerissen zwischen Furcht und Hoffnung, stolperte sie ungeschickt über die hohe Schwelle, wurde von einem Wachmann durch einen unsanften Griff unter den Arm vor dem Hinschlagen auf dem schwarz-weiß gewürfelten Steinboden bewahrt. Wortlos schleppten sie sie durch eine Vielzahl kleinerer und größerer Räume, die allesamt nur spärlich mit einigen wenigen Truhen und Tresoren möbliert waren. Dafür fielen die prächtigen Wandteppiche umso stärker auf. Schließlich erreichten sie ein großzügiges Treppenhaus. Auf breiten, erstaunlich flachen Stufen ging es bis ins zweite Obergeschoss hinauf, das allein durch seine besondere Höhe die Pracht der unteren Räume in den Schatten stellte. Der vorgelagerte offene Hofumgang ließ von Süden her das Sonnenlicht durch die großen Fenster verschwenderisch hereinfluten. Zu Doras Erstaunen blieb der zweite Wachmann im Treppenhaus zurück, als sie mit dem ersten rechter Hand durch eine doppelflügelige Eichentür in einen düsteren Raum traten. Zum Glück hatten sie diesen finsteren Saal rasch durchschritten und erreichten nach zwei weiteren nahezu fensterlosen Räumen endlich einen helleren Saal, in dem lediglich einige Stühle an den Wänden sowie eine schmale Truhe standen. Dafür erlaubten die raumhohen Fenster an der Längsseite einen faszinierenden Ausblick über die nordwärts vorgelagerte Stadt.
Eine schlanke Frau mittleren Alters in hellblauem Gewand und einem farblich darauf abgestimmten Schleier kam ihnen leichtfüßig entgegen. Als würde sie Dora schon lange kennen und sich über ein Wiedersehen freuen, streckte sie ihr schon auf wenige Schritte Entfernung einladend die Arme entgegen. Beiläufig gab sie dem Wachmann einen Wink zu verschwinden und fasste Dora alsbald tatsächlich vertraulich an beiden Händen. Der Händedruck war fest und entschlossen, die Wärme und Weichheit der Haut zu spüren ermutigte Dora.
»Ihr seid also Dora Stöckelin aus Königsberg.« Das klang weniger wie eine Frage denn wie eine Feststellung. Zwei himmelblaue Augen strahlten Dora aus einem herzförmigen Gesicht mit rosigen Wangen und munteren Grübchen beidseits des kirschroten Mundes fröhlich entgegen. »Wie schön, Euch endlich kennenzulernen.«
Beiläufig strich sie ihren blaugestreiften Schleier über die Schulter zurück. Erst durch diese Bewegung wurde Dora auf die jüdische Tracht aufmerksam. Sie musste reichlich verdutzt aussehen, denn die andere lachte in glockenhellem Ton auf.
»Mein Name ist Chwałka, ich bin Jüdin und dennoch eine der Hofdamen von Königin Bona Sforza. Zu meiner größten Freude kann ich Euch versichern, sogar einer ihrer liebsten Vertrauensleute am Hof zu sein, und das schon seit vielen, vielen Jahren. Deshalb habe ich auch die große Ehre, Euch im Namen der Königin willkommen zu heißen. Gleich wird sie Euch empfangen.«
»Die Königin? Mich?« Dora begriff immer weniger. Wie kam Chwałka außerdem dazu, ihr Zusammentreffen als »große Ehre« zu bezeichnen? Hatte sie vergessen, dass sie eine Gefangene, eine des heimtückischen Mordes an ihrem Gatten und der Hexerei bezichtigten Übeltäterin war?
»Die Königin bedauert sehr, dass Ihr so lange warten musstet, bis sie endlich Zeit für Euch gefunden hat. Allerdings hat sie erst vor wenigen Tagen von Eurem Schicksal erfahren. Unser Freund Jan Gottlieb hat ihr von Euch berichtet.«
»Oh.« Allmählich gewann Dora den Eindruck, der rührige Jude aus
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